Wird die Flut zum Gamechanger im Wahlkampf?

Die öffentliche Aufmerksamkeit im Kampf um das deutsche Kanzleramt drehte sich bis vergangene Woche vor allem um die Person der Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock. Dann kam die Flutkatastrophe und CDU-Kandidat Laschet fiel damit auf, dass er auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer lachte. Ob die Karten für die Bundestagswahl in zwei Monaten nun völlig neu gemischt werden, ist unter Kommentatoren allerdings umstritten.

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Ria Nowosti (RU) /

Die Deutschen haben keine tolle Auswahl

Ria Nowosti geht davon aus, dass Laschet trotz Lach-Lapsus mangels starker Konkurrenz Kanzler wird:

„Die Umfragen werden alsbald zeigen, wie die Deutschen den 'lachenden Kandidaten' aufnehmen. Anfangs verliert er sicher im Rating, aber wie heftig und vor allem nachhaltig wird die Enttäuschung sein? Vermutlich kommt er mit geringem Verlust davon, obwohl es sehr viele gibt, die Laschet versenken möchten. ... Doch die Deutschen haben keine tolle Auswahl: Baerbock ist nicht kompetent genug. Finanzminister Scholz ist zu sehr an das niedrige Rating der SPD gefesselt. So ergibt sich, dass Laschet zwar kein Hit ist, aber immerhin doch der Erbe der populären Merkel.“

Financial Times (GB) /

Mit der Merkel-Ära brechen

Die Hochwasser der vergangenen Woche könnten zum Gamechanger des Wahlkampfs werden, glaubt hingegen Financial Times:

„Die Überschwemmungen haben Schwächen im deutschen Katastrophenschutz aufgedeckt und eine Debatte über die jahrelange Unterfinanzierung der Infrastruktur unter Merkel angefacht. Alles weist darauf, dass Deutschlands oftmals bewundertes föderales Regierungssystem die Menschen im Stich lassen kann, wenn die verantwortlichen Politiker selbstgefällig oder langsam agieren. Aus diesen Gründen wird die nächste deutsche Regierung nicht nur beim Thema Klimawandel mehr Dringlichkeit an den Tag legen müssen, sondern auch unter Druck stehen, insgesamt in die wirtschaftliche Modernisierung zu investieren. Der Bruch mit der Merkel-Ära mag nun ausschlaggebender sein, als vor den Überschwemmungen.“

Jyllands-Posten (DK) /

Die Zeit wirklich harter Bandagen ist vorbei

Ungenauigkeiten im Lebenslauf und bei der Angabe von Nebeneinkünften von Annalena Baerbock waren in den vergangenen Monaten medial unter die Lupe genommen worden. Und auch die politische Konkurrenz zielte mit teils harten Bandagen darauf ab. Die Klagen der Grünen über zu harte Angriffe findet Jyllands-Posten aber übertrieben:

„Annalena Baerbock ist 1980 geboren – in dem Jahr, in dem sich der bisher brutalste Wahlkampf im modernen Deutschland abspielte, zwischen dem damals amtierenden Kanzler Helmut Schmidt von der SPD und dem bayerischen Polterer Franz Josef Strauß. Da hagelte es Giftpfeile und beinharte persönliche Angriffe. ... Wenn die Grünen-Führung die Kritik an Baerbock nun als 'historisch beispiellos' darstellt, ist das entweder ihrer Jugend, einem seltsamen Zugang zur Debattenkultur oder einer äußerst selektiven Wahrnehmung geschuldet.“