Bringt der Gas-Notfallplan die EU durch den Winter?

Die Energieminister der EU haben sich auf einen Gas-Notfallplan geeinigt. Da Russland die Lieferungen gedrosselt hat, rechnet die EU mit erheblichen Engpässen, vor allem für Deutschland. Ursprünglich sollte der Gasverbrauch daher von allen Mitgliedstaaten um 15 Prozent gesenkt werden, nun gelten aber zahlreiche Ausnahmen. Nicht nur deshalb sind viele Kommentatoren skeptisch.

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Süddeutsche Zeitung (DE) /

Für Putin läuft es gerade nach Plan

Europas Albtraum beginnt erst, befürchtet die Süddeutsche Zeitung:

„[D]enn die Energieabhängigkeit verlangt nach einem verlässlichen Lieferanten. Russland will aber nicht mehr verlässlich und vertragstreu sein, weil es exakt diese Unberechenbarkeit ist, aus der Albträume gemacht sind. Deswegen also sinkt nun die Füllmenge in Nord Stream 1, vielleicht steigt sie in der Pipeline 'Bruderschaft', vielleicht sinkt sie auch dort wieder und steigt in der Jamal-Röhre, die seit Monaten schon leer ist. Jede der Pipelines endet in einem anderen Land, jede Situation wird neue Rivalitäten, Verteilungskämpfe und EU-Streitigkeiten auslösen. So war es von Putin geplant, so wird es kommen.“

Magyar Hírlap (HU) /

Weder demokratisch noch transparent

Ungarn votierte als einziger EU-Mitgliedstaat gegen den Plan. Dass es dennoch zu Einsparungen verpflichtet werden kann, empfindet die regierungsnahe Magyar Hírlap als ungerecht:

„Die Minister der EU-Mitgliedstaaten haben eine Entscheidung getroffen, nach der der Gasverbrauch in Europa im Hinblick auf die Gaskrise gesenkt werden muss. Einstweilen könne man dies freiwillig tun - soweit alles in Ordnung -, doch die raffinierten Entscheidungsträger haben einen Passus unter dem Titel 'Unions-Alarm' aufgenommen. Wird dieser von fünf Mitgliedstaaten ausgelöst, müssen alle die [Sparverordnungen] einhalten. So könnte die Freiwilligkeit im Handumdrehen zur Pflicht werden. Ist sie nicht schön, diese transparente, liberale, westliche Demokratie?“

Dagens Nyheter (SE) /

Mut beweisen und Russland schachmatt setzen

Europa kann Russland im Wirtschaftskrieg schlagen, ist Dagens Nyheter überzeugt:

„Die EU muss einen Importstopp [für Gas] anstreben - und zwar mit mit viel mehr Nachdruck als bislang. Den Verbrauch radikal einschränken, das Gas am besten ganz abstellen. ... Die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen wären groß, aber zu bewältigen. Für Russland hingegen wären die Folgen katastrophal. Eine aktuelle Studie der Yale-Universität zeigt, dass Sanktionen und Unternehmensflucht die Wirtschaft schon weit mehr geschädigt haben, als Russland zugeben will. ... Einzig der Export von Öl und Gas bewahrt die russische Wirtschaft letztlich vor dem Implodieren. Unser Konsumverhalten gibt uns also die einmalige Chance, sie zu Fall zu bringen - wenn wir uns trauen, Putins wichtigste Waffe gegen ihn zu richten.“

Welt (DE) /

Solidarität mit Deutschland!

Für die Tageszeitung Die Welt ist es ein Gebot der Fairness, Berlin jetzt zu helfen:

„Auf europäischer Ebene hat Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder Verantwortung übernommen: Der deutsche Steuerzahler ist mit Dutzenden von Milliarden an der Rettung überschuldeter Euro-Länder beteiligt. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben die deutsche und die französische Regierung den 800 Milliarden schweren Wiederaufbaufonds angestoßen, für den Deutschland die größten Garantien übernimmt. ... Jetzt ist es an der Zeit, dass andere EU-Länder Solidarität mit Deutschland zeigen.“

Dnevnik (SI) /

Lauter Risse in der Union

Dass die Einigkeit bröckelt, schon bevor es richtig ernst wird, bereitet Dnevnik Sorge:

„Orbán verbot den Export von Gas in andere Mitgliedsstaaten und eilte bereits nach Moskau, um neue zusätzliche Mengen dieses Energieträgers für sein Land zu sichern. Aufgrund verschiedener Energieüberlegungen sind die südlichen Mitglieder zu den vorgeschlagenen Einsparungen eher zurückhaltend. All dies verheißt nichts Gutes: Die EU ist bezüglich der vorgeschlagenen Solidarität bereits gespalten, dabei hat Putin den Gashahn noch nicht einmal zugedreht.“

The Economist (GB) /

Mal wieder so ein typischer Kompromiss

Der Plan wird ein mögliches Versorgungsproblem nicht lösen, glaubt The Economist:

„Es ist ein typischer EU-Kompromiss - geschmiedet nach langen Verhandlungen und gespickt mit Ausnahmen und Zugeständnissen. ... Die EU-Energieminister schieben damit das Gas-Problem auf die lange Bank. Das gesetzte Ziel, 15 Prozent Gas zu sparen, ist zunächst freiwillig. ... Es gibt Ausnahmen, für Länder, die nicht direkt an das europäische Gasnetz angeschlossen sind, für die, die ihren Verbrauch bereits gesenkt haben, und für die, die Gas als Grundlage für Düngemittel und dergleichen benötigen. Wenn der kommende Winter mild wird, könnte die EU damit durchkommen, aber sollte es kalt werden, wird sie beweisen müssen, dass sie auch in harten Zeiten zusammenhält.“

De Telegraaf (NL) /

Putin spielt Länder gegeneinander aus

Auch De Telegraaf sieht die vielen Ausnahmen skeptisch:

„Sicherheit für den kommenden Winter gibt es nicht - Raum für Putin, Länder gegeneinander auszuspielen, desto mehr. Unterm Strich müssen die uneinigen Energieminister bei Drohung eines Gasmangels erneut verhandeln. Das wirft die Frage auf, ob die EU das richtige Forum ist, diese Krise zu lösen. Die Benelux-Staaten, Deutschland und Dänemark haben seit Jahren eine gut laufende eigene Gas-Konsultation. Müssen hier Entscheidungen getroffen werden, wenn Solidarität in der EU fehlt? ... Experten warnen bereits seit Monaten: Für einen weiteren Winter wie diesen ist Europa nicht gewappnet.“

El Mundo (ES) /

Spanien profitiert von den Ausnahmen

Der Plan ist ein Erfolg, freut sich El Mundo:

„Spanien konnte sich mit einigen Argumenten durchsetzen. ... Es stimmt, dass der Ton des Premiers [Pedro Sánchez] und seiner Stellvertreterin [Energieministerin Teresa Ribera] nicht der beste war. ... Ohne Deutschland zu erwähnen zu argumentieren, dass 'wir Spanier im Gegensatz zu anderen nicht über unsere energetischen Möglichkeiten hinaus gelebt haben', ist nicht korrekt, wenn man sich an die höchsten Ebenen der EU wendet. ... Letztlich wird Spanien von den Ausnahmen profitieren können, dank seiner Energiediversifizierung - fast 50 Prozent grüne Energie -, seiner Gasexporte in die Mitgliedstaaten - 20 Prozent der Vorräte - und seiner Gasreserven von 80 Prozent. ... Europa hat sich zusammengeschlossen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten.“