Ist die Ära Putin bald vorbei?

Ob nun aus gesundheitlichen Gründen, aufgrund einer Palastrevolution oder wegen ausbleibenden Erfolgs beim Angriffskrieg gegen die Ukraine: Putins baldiger Abgang wird in einigen Kreisen als realistische Vision für 2023 gehandelt. Auch Europas Presse beschäftigt mit der Frage, ob die Zeit des scheinbar ewigen Präsidenten abgelaufen sein könnte.

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Moise.ro (RO) /

Er hat keine Optionen mehr

Putin steckt in der Sackgasse, schreibt Moise Guran in seinem Blog:

„ Ich glaube, dass der Krieg in der Ukraine noch in diesem Jahr enden könnte, entweder durch eine Niederlage der russischen Armee auf dem Schlachtfeld oder durch ihren Kollaps, gefolgt mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Krieg um die Macht im Kreml. ... Wenn Putin erneut mobilmacht, wird dies den Zusammenbruch der Armee beschleunigen. Wenn er es nicht tut, wird er angesichts der unvermeidlichen ukrainischen Offensive eine taktische Niederlage erleiden.“

Waschnyje istorii (RU) /

Hauen und Stechen um die verwaiste Macht

Die Internetzeitung Waschnyje istorii sieht eine Zeit der Wirren herannahen:

„All die Jahre hat Wladimir Putin als eine Art Schiedsrichter in den Konflikten seiner Kumpane fungiert. Er sorgte für eine labile Machtbalance zwischen den verfeindeten Gruppierungen, denen eines klar war: Wenn er abtritt, kippt das Gleichgewicht und ein Krieg aller gegen alle bricht aus. ... Je näher Putins Ende rückt - sei es politisch oder physisch -, desto wahrscheinlicher wird es, dass die zahlreichen kalten Kriege der Clans um die Macht in heiße umschlagen. ... Putin hat sich selbst und den Staat seines Gewaltmonopols beraubt. Heute verfügen neben der Armee und den Strafverfolgungsbehörden alle möglichen Wagner- und Kadyrow-Leute sowie sonstige Söldnergruppen über diese Lizenz.“

Slate (FR) /

Es braucht eine verschworene Gruppe

Es ist nicht auszuschließen, dass Putin gestürzt wird, glaubt Kolumnist Fred Kaplan in Slate:

„Wie andere autoritäre Herrscher ist Putin gut darin, seine Gegner zu vernichten, bevor sie zu seinen Rivalen werden. Sollten sechs Offiziere einen Putsch organisieren, müssten sie alle überzeugt sein, dass keiner der fünf anderen sie verrät. Und soll auch nur die geringste Chance bestehen, Putin zu stürzen, ist das wahrscheinlich der einzige Weg, es zu erreichen. Solche Dinge ereignen sich jedoch nur sehr plötzlich. Vielleicht wird die Verschwörung gerade gesponnen, während ich diese Zeilen schreibe, und niemand wird von der Nacht der langen Messer erfahren, bevor sie vorbei ist.“

Deutsche Welle (BG) /

Aufstand bleibt bisher aus

Die russischen Truppenverluste im Ukraine-Krieg belaufen sich bislang auf 110.000 Tote, schreibt der bulgarische Dienst der Deutschen Welle und wundert sich:

„Das sind achtmal so viel getötete Soldaten wie in zehn Jahren Afghanistankrieg [Sowjetisch-Afghanischer Krieg 1979-1989] und doppelt so viele wie in zwölf Jahren Vietnam-Krieg. Jede russische Familie kennt mittlerweile wenigstens eine andere Familie, die einen Sohn oder Ehemann in der Ukraine verloren hat. Wie viel Tod hält diese Gesellschaft aus? Offenbar machen 100.000 tote Soldaten keinen Eindruck auf sie. Wird es bei 500.000 Soldaten dasselbe sein? Bei einer Million? Bei drei Millionen?“