Zweistaatenlösung: Festhalten an einer Illusion?

Kurz vor ihrem Außenministertreffen am gestrigen Montag hat sich auch die EU noch einmal für die Zweistaatenlösung in Nahost stark gemacht. Kurz zuvor hatte US-Präsident Biden Israels Premier Netanjahu erneut mitgeteilt, dass die USA an der Zweistaatenlösung als Weg zum Frieden zwischen Israel und den Palästinensern festhalten. Kommentatoren debattieren, wie realistisch dieses Ziel jetzt und in der Zukunft ist.

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Le Courrier (CH) /

Europa muss sich engagieren wie damals in Südafrika

In einem Leserbrief in Le Courrier fordert der sozialdemokratische Lokalpolitiker Daniel Schmid (PS) ein entschiedenes Eingreifen Europas zugunsten der Zweistaatenlösung:

„In den siebziger und achtziger Jahren hat sich die europäische Linke stark im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika eingesetzt. Dieses konsequente Engagement hat entscheidend zum Sturz des südafrikanischen Regimes beigetragen. Dasselbe müssen wir auch für Nahost tun. Die Zweistaatenlösung würde den Palästinensern und den Israelis eine Zukunft bieten. Ohne sie werden die beiden Völker niemals in Frieden leben können.“

ABC (ES) /

Placebo für uns Europäer

Die EU beschwört hier ein Luftschloss, meint ABC:

„Die Zweistaatenlösung, wie sie Borrell im Namen der EU vorschlägt, ist die vernünftigste und gerechteste Lösung für den Dauerkonflikt um Palästina. ... Das einzige Problem: Sie ist nicht vollzugstauglich. ... Die Juden wollen sie nicht und die Muslime wollen sie nicht, auch wenn keiner der beiden das zugibt. Im Augenblick seiner hypothetischen Gründung hätte ein palästinensischer Staat nur die Zerstörung Israels im Sinn, das ausdrückliche Ziel der Hamas und der Hisbollah, ihres Geldgebers Iran und dessen Satelliten in der Region. ... Der Teilungsplan grenzt an magisches Denken. ... Eine Art Placebo für unser europäisches Gewissen, zutiefst beunruhigt angesichts der Offensichtlichkeit, dass dieser Krieg noch lange dauern wird.“

De Telegraaf (NL) /

Mit Hamas kann es keinen Frieden geben

De Telegraaf hat Verständnis für Netanjahus Haltung:

„Der Wunsch von Israel, die Kontrolle über die Sicherheit zu behalten, ist nicht ungerechtfertigt. Inzwischen ist glasklar, was die Hamas will, und das ist nicht die Zweistaatenlösung. Nein, Israel muss total verschwinden, so machte es Hamas-Führer Maschal jüngst deutlich. Das Massaker vom 7. Oktober war nach seiner Ansicht nur eine Kostprobe: An dem Tag zeigte sich ihm zufolge, wie realistisch der 'Traum' von einem eigenen Staat 'vom Fluss zum Meer' ist. Politische Führer, die Israel etwas aufzwingen wollen, müssen einsehen, dass Frieden sehr weit weg ist, solange die Hamas noch existiert und die Mordgier dieser Terroristen vom Iran unterstützt wird.“

Liberal (GR) /

Erdrückende islamistische Dimension

Das Webportal Liberal fragt sich, wie ein palästinensischer Staat wohl aussehen würde:

„Wird es ein säkularer Staat oder ein theokratisches islamisches Regime sein? Im ersten Fall fragt sich, wie und von wem die extrem islamistischen und bewaffneten Organisationen kontrolliert werden sollen. Im zweiten Fall fragt sich, wie es Israel akzeptieren soll, einen weiteren Stellvertreter Irans an seinen Grenzen zu haben. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass die Lösung der palästinensischen Frage direkt mit Irans Regime verbunden ist. Die extremen Sunniten und Schiiten sind jetzt Faktoren in einer Gleichung, die schwierig zu lösen, wenn nicht gar unlösbar ist. ... Da die palästinensische Frage eine primär islamistische Dimension angenommen hat, sind nun jene, die Israel als Kämpfer für die gesamte westliche Welt sehen, voll im Recht.“

Die Presse (AT) /

Respektable, aber unrealistische Initiative

Noch ist der Frieden in weiter Ferne, und eine Zweistaatenlösung erst recht, schreibt Die Presse:

„Niemand weiß derzeit, wie und wann der Gaza-Krieg enden kann. Vom Ziel, die Hamas auszulöschen, ist Israel trotz aller Zerstörung weit entfernt. Und selbst wenn die Hamas gestürzt werden kann, bleibt offen, wer danach die Verantwortung in Gaza übernehmen soll. Eine multinationale arabisch-westliche Blauhelm-Truppe existiert bisher nur in der Fantasie. ... Die bittere Lehre aus dem Gaza-Rückzug 2005 lautet für die Israelis, dass der Dank Raketen und Terror waren. ... Das diplomatische Engagement der USA verdient Respekt. Und bisher hatte auch niemand eine bessere Friedensidee als eine Zweistaaten-Lösung. Doch derzeit ist sie noch eine Zweistaaten-Illusion.“

The Daily Telegraph (GB) /

Palästinenserführern fehlt der Wille

Man kann es Netanjahu nicht verdenken, dass er diese Option ausschließt, findet The Daily Telegraph:

„Eine Zweistaatenlösung bleibt die offensichtliche und beste Antwort auf die Tragödie des israelischen und des palästinensischen Volkes. Aber seit mehr als 70 Jahren wird jedes Angebot für ein solches Abkommen von den Vertretern der Palästinenser abgelehnt. Nicht Israel ist kompromisslos, sondern die palästinensische Elite und ihre fehlgeleiteten westlichen Unterstützer. ... Es ist die Schuld der Hamas und ihrer iranischen Geldgeber, dass eine friedliche Koexistenz in weitere Ferne gerückt ist als je zuvor. Man kann keinen gemeinsamen Frieden erreichen, ohne die Hamas zu besiegen. Israel die Schuld in die Schuhe zu schieben, ist eine unerträgliche Verdrehung der Tatsachen.“

De Standaard (BE) /

Bedingungen für Frieden fachmännisch zerstört

Für De Standaard ist deutlich, dass es unter Netanjahu keinen Frieden geben wird:

„Es gibt ein Rezept für Frieden: Anerkennung und Sicherheit für Israel im Tausch für Land und Staat für die Palästinenser. ... Aber Netanjahu glaubt nicht an die Zweistaatenlösung. Das hat er nie getan und die Bedingungen für eine friedliche Co-Existenz eines jüdischen und eines palästinensischen Staats fachmännisch zerstört. ... Auch wenn es fraglich ist, ob die Zweistaatenlösung zu reanimieren ist, mit dieser Haltung von Netanjahu kann man keinen Frieden schaffen.“

France Inter (FR) /

Nichts ist in Stein gemeißelt

France Inter gibt die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung nicht auf, auch wenn es viele Hindernisse gibt:

„Angefangen bei der Ablehnung des israelischen Premiers Netanjahu gegenüber jeglichen Plänen für die Schaffung eines palästinensischen Staats - und er hat in diesem Punkt zweifellos eine große Mehrheit der Israelis hinter sich. Ein zweites Problem wäre die Haltung der Hamas, die der Anerkennung Israels bisher ablehnend gegenübersteht und die über einen großen Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung verfügt. Solange diese beiden Akteure dominant bleiben, ist der Weg blockiert. Aber nichts ist in Stein gemeißelt. Es würde genügen, wenn dieser Plan formalisiert würde und genug internationale Unterstützung fände. Dann könnte er glaubwürdig werden.“