Rassistische Gesänge auf Sylt: Was ist die Tragweite?

Ein kurzes Video empört Deutschland: Darauf grölen feiernde junge Menschen im Sylter Club Pony zu einem Partyhit ausländerfeindliche Parolen. Sylt gilt als Urlaubsinsel der Reichen und Schönen, der betroffene Club zieht seit den 1960er Jahren Prominente an. Politiker bis hinauf zu Bundeskanzler Scholz verurteilten die Vorfälle. Ob das Ausmaß der Reaktionen gerechtfertigt ist, entzweit die Kommentatoren.

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France Inter (FR) /

Doppelt so schlimm wie in Italien und Frankreich

Für France Inter sind die Vorfälle symptomatisch:

„Laut einer europaweiten Studie sagen 76 Prozent der befragten schwarzen Menschen in Deutschland, in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierungen aufgrund ihrer Hautfarbe erlebt zu haben. … Diese Zahl wird immer größer. Sie macht Deutschland zu einem der europäischen Länder, in denen Rassismus am stärksten verbreitet ist. Zum Vergleich: In Frankreich und selbst im Italien von Giorgia Meloni ist diese Zahl halb so hoch. ... Im September finden Landtagswahlen statt. Es wird weithin erwartet, dass die AfD in den drei betroffenen östlichen Bundesländern stärkste Partei wird. Auch bei der Europawahl könnte sie kräftig zulegen. Damit würde noch deutlicher bestätigt, dass man in Deutschland politisch nicht mehr an der AfD vorbeikommt.“

Handelsblatt (DE) /

Gedankengut in allen Schichten anschlussfähig

Für das Handelsblatt zeugt das allgemeine Entsetzen von einem naiven Fehlschluss:

„[Die] gefährliche Lesart lautet oft: Vor allem die Benachteiligten und Ausgegrenzten seien für rechtsextreme Ideen empfänglich. Wer so denkt, relativiert die Menschenfeindlichkeit hinter diesen Positionen und stellt sie als radikale, aber logische Reaktion auf bestimmte Lebensverhältnisse dar. Nicht-weiße Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte dürften wenig überrascht sein, dass auch Männer mit Cashmerepullover und Frauen mit Goldohrringen Rassisten sein können. Denn rechtsextremes Gedankengut ... ist in allen gesellschaftlichen Schichten salonfähig geworden. Die jetzt entstandene Empörungswelle muss dazu führen, dass wir alle im Umgang mit Rechtsextremismus unsere eigene Naivität ablegen.“

Kleine Zeitung (AT) /

Eines Rechtsstaats unwürdige Hysterie

Die Kleine Zeitung kann die Reaktionen in Deutschland nicht nachvollziehen:

„Das offizielle Deutschland reagiert seit Tagen völlig überzogen. Dutzende Politiker-Statements, von Bundeskanzler, Justiz- und Innenministerin abwärts, jazzen die Causa zur Staatsaffäre hoch. Der Staatsschutz ermittelt. Der Boulevard ereifert sich über den 'Nazi-Skandal der Sylt-Schnösel' und zerrt die Beteiligten mit Foto und Namen auf die Bühne eines schaurigen Tribunals. Im Internet wird zur Rasterfahndung geblasen: Die umstrittene Plattform 'Correctiv' fordert zur Meldung ähnlicher Vorfälle auf. Unter dem Druck der Straße haben einige Akteure nun Job und Existenz verloren. Also: Exkommunikation statt Resozialisierung. Mittelalter statt Neuzeit.“