Nach Wahlen: Wie umgehen mit dem Rechtsruck?

Am vergangenen Sonntag haben in Rumänien, Portugal und Polen zwar proeuropäische Kräfte der politischen Mitte Siege davongetragen – aber zugleich konnten rechtspopulistische Strömungen Stimmenzuwächse verzeichnen. Europäische Kommentatoren fragen nach den Ursachen und finden mahnende Worte beim Blick in die Zukunft.

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Kleine Zeitung (AT) /

Hausaufgaben machen

Die Kleine Zeitung sucht Gründe für die Zunahme populistischer Parteien:

„Ist es immer eine 'Denkzettelwahl', weil man an die davor Regierenden eine Botschaft schicken möchte? Oder fühlen sich tatsächlich so viele Menschen in ihrem Dasein derart schlecht, dass sie eine Abkehr von der EU und all ihren Vorteilen, eine Hinwendung an die russischen Kriegstreiber und ein Ende der Ukraine-Unterstützung für das bessere Lebensmodell halten? … Es ist Aufgabe der demokratischen Kräfte, dem entgegenzuwirken. Lautes Nachplappern von inhaltsleeren Slogans, die beim Wahlvolk auf guten Nährboden fallen, bringt Europa nicht weiter. Der Kontinent braucht echte Lösungen, keine Marketinggags oder leere Versprechungen. Die Populisten haben ihre Hausaufgaben gut gemacht – jetzt liegt es an den Parteien der Mitte.“

La Vanguardia (ES) /

Junge Männer verändern die politische Landkarte

La Vanguardia analysiert:

„Die rechtspopulistischen Kräfte nehmen zu. ... Eine europäische Studie bestätigt, dass diese Parteien zunehmend junge Männer rekrutieren. ... Ein grundlegendes Phänomen erschüttert Europa: Die Geschlechterkluft, die allgemeine gesellschaftliche Kluft und Faktoren wie Arbeitsplatzunsicherheit und die Politik der positiven Diskriminierung nehmen zu, was junge Menschen verunsichert und sie für extremistische Optionen stimmen lässt. Diese Generationen verändern die politische Landkarte Europas mit besorgniserregenden und vielleicht unumkehrbaren Folgen. Wenn die traditionellen Parteien nicht bald mit glaubwürdigen Alternativen reagieren, wird die Kluft immer größer.“

El País (ES) /

Sieg der kosmopolitischen Europäer

El País atmet auf:

„Die europäische Idee hält der europaskeptischen extremen Rechten stand, wenn es ihr gelingt, Wähler zu mobilisieren, wie die Präsidentschaftswahlen in Rumänien und Polen gezeigt haben. ... Die alte Polarisierung zwischen rechts und links wird überlagert von der Polarisierung zwischen einem nationalistischen Rückzug mit feindlicher Gesinnung gegenüber Brüssel einerseits und einer engeren Union der Europäer andererseits. Erstere wird von extrem rechten Kräften vertreten, die davon träumen, die autoritären Programme von Trump oder Putin in ihren Ländern anzuwenden. Die zweite wird von kosmopolitischen und liberal gesinnten Persönlichkeiten vertreten, die nicht ohne Grund Bürgermeister ihrer Hauptstädte sind.“

Delfi (LT) /

Wähler fühlen sich nicht mehr vertreten

Klassische Links-rechts-Schemata verlieren an Bedeutung, analysiert Delfi-Kolumnist Vidas Rachlevičius:

„Die im 20. Jahrhundert entstandenen, aber zunehmend zerfallenden politischen Modelle sind nicht mehr in der Lage, die Interessen der Wählerinnen und Wähler des 21. Jahrhunderts zu vertreten. ... Die klassische Gegensätzlichkeit zwischen links und rechts basierte vor allem auf wirtschaftspolitischen Fragen: der Rolle des Staates, Steuerumverteilung, Arbeitnehmerrechte. ... Heute werden politische Debatten zunehmend von kulturellen und identitätsbezogenen Themen geprägt: Einstellungen zu Migration, Klimawandel, europäischer Integration, Geschlechterpolitik und vieles mehr. Viele Wählerinnen und Wähler – links wie rechts – fühlen sich nicht mehr vertreten.“

NRC (NL) /

Für viele ist die EU kein Paradies

Schlecht bezahlte Arbeitnehmer bringen ihre Unzufriedenheit an den Wahlurnen zum Ausdruck, mahnt NRC:

„Der Wohlstand Westeuropas wird zu einem beträchtlichen Teil von Menschen getragen, die selbst relativ wenig davon profitieren und ausgepresst werden wie Zitronen. In letzter Zeit ging es oft um russische Desinformation und um die Gerissenheit Moskaus dabei, mit bezahlten Troll-Armeen und Influencern, die den Groll schüren. Und das zu Recht. ... Was weniger prominent angesprochen wird, ist der Nährboden selbst. Für die Menschen am unteren Ende der Arbeitsmarktleiter ist die EU nicht das gelobte Land. Sie hören von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, fragen sich aber: für wen?“