G7: Kann es auch ohne die USA weitergehen?
Nachdem US-Präsident Donald Trump vorzeitig abgereist war, ist der G7-Gipfel in Kanada ohne gemeinsame Abschlusserklärung zu Ende gegangen. Die Staats- und Regierungschefs riefen jedoch zur Deeskalation im Israel-Iran-Konflikt auf, betonten aber auch das Selbstverteidigungsrecht Israels. Der Iran dürfe niemals Atomwaffen besitzen. Zudem sicherten sechs Staaten ohne die USA der Ukraine weitere Unterstützung zu.
Kein geeignetes Forum mehr für Krisenlösungen
Für El País hat das Treffen rein gar nichts gebracht:
„Die EU war nach Kanada gekommen, um zu versuchen, die Verhandlungen zu beschleunigen und die 50-Prozent-Zölle zu vermeiden, mit denen Trump Brüssel droht. ... Ursula von der Leyen konnte Trump zwar kurz sehen, aber er hat den vorsichtigen Optimismus der Kommissionspräsidentin schnell zunichte gemacht. Das Gleiche gilt für Mexiko, Südkorea und Brasilien, die mit leeren Händen zurück flogen. ... Das allmähliche Verschwinden von Vereinbarungen in multilateralen Foren ist besorgniserregend. Sie sind immer mehr zu Bühnen für theatralische Gesten geworden anstelle von Orten der Problemlösung.“
Die einstige Strahlkraft ist verloren
Der Westen steht vor einem Dilemma, meint Diena:
„Verschiedene Strukturen des Westens, von deren Entscheidungen bis vor Kurzem der Verlauf einer Vielzahl unterschiedlicher Prozesse auf globaler Ebene abhing, haben in den letzten Jahren einen Großteil ihrer einstigen Strahlkraft und ihres Einflusses verloren, auch ohne interne Spaltungen. Es handelte sich bei ihnen stets um Organisationen, in denen sich die westlichen Länder vereinten und ihre gemeinsame Meinung zum Ausdruck brachten. Diese Tatsache war einer der Gründe dafür, dass selbst eine offen antiwestliche Öffentlichkeit diese Position nicht ignorieren konnte. Wenn es wiederum keine Einheit mehr gibt, dann sind die Aussagen westlicher Strukturen in den Augen der nicht-westlichen Welt nur leere Worte ohne tatsächliche Tragweite.“
Trump sitzt zwischen den Stühlen
Diena ist sicher, dass Trump seine Entscheidung bezüglich des Konflikts im Nahen Osten verzögern wird:
„Generell befindet sich der US-Präsident derzeit an einem Scheideweg zwischen dem Teil der Maga-Bewegung, der jede US-Beteiligung an 'fremden Kriegen' kategorisch ablehnt und Trump ausdrücklich als 'Präsident des Friedens' unterstützt, und den im konservativen Umfeld einflussreichen amerikanischen Evangelikalen, die aufgrund ihres Glaubens stets pro-israelische Positionen vertreten. ... Die Position beider konservativer Gruppen ist zudem grundsätzlich kompromisslos und keine von beiden wird sie aufgeben. ... Es ist jedoch davon auszugehen, dass Trump bis zum letzten Moment versuchen wird, beliebige Deals abzuschließen und eine eindeutige Entscheidung zu vermeiden.“
Weil er es kann
Die Süddeutsche Zeitung fragt sich, warum sich Trump eine solche Brüskierung der anderen Gipfelteilnehmer leisten kann:
„[E]s lebe die G6. G6 – das sind die gedemütigten Sechs. Sechs Staats- und Regierungschefs, die in ihren Ländern mächtig sind und zusammen immer noch einen beträchtlichen Teil der Weltwirtschaft repräsentieren. Und sich im kanadischen Kananaskis doch wie Zwerge behandeln lassen mussten von dem Mann, der sich für den Größten hält und es in der Konzentration von politischer, wirtschaftlicher und militärischer Macht eben auch ist. G1, also Donald Trump, darf alles. Unwidersprochen lügen, die Gipfel-Choreografie sprengen und natürlich auch vorzeitig abreisen. Wieso er es darf? Weil er es kann.“
Guter und böser Cop
Corriere della Sera sieht ein abgekartetes Spiel zwischen Trump und Netanjahu:
„Ein zunehmend nervöser Trump hat die Karte der Zwangsdiplomatie gespielt. Der Vorstoß beim Obersten Führer Ali Chamenei wurde bald zu einem Ultimatum: eine Forderung nach vollständiger Kapitulation und nicht nur der Verzicht auf die Anreicherung des für die Atombombe benötigten Urans. ... Netanjahu ist entschlossen, die USA in den Konflikt hineinzuziehen, indem er behauptet, dass nur sie die unterirdischen Atomanlagen von Fordo mit der fast 15 Tonnen schweren Megabombe GBU zerstören können. ... Einigen Analysten zufolge spielen Trump und er den guten und den bösen Polizisten: Donald spricht von Verhandlungen und Frieden, während Benjamin hart zuschlägt.“
Irritierende Gleichgültigkeit
The Times beschreibt die Reaktion der Gipfelteilnehmer nach dem Abflug Trumps:
„Die übrigen Mitglieder der G7 ließ er nicht nur perplex, sondern auch ratlos zurück. Ein Land und ein Mann dominieren derzeit die turbulenten Krisen im Nahen Osten und auf den globalen Märkten. Wie auch immer die frommen Erklärungen der verbliebenen G6-Staats- und Regierungschefs ausfallen, sie haben wenig Einfluss auf Israels Angriff auf den Iran oder Trumps Stimmungsschwankungen in Bezug auf globale Handelszölle. ... Noch beunruhigender als Trumps Gleichgültigkeit gegenüber den Ansichten der wichtigsten Verbündeten der USA ist seine Beharrlichkeit, mit der er darauf besteht, dass die G7 einen Fehler begangen haben, als sie Russland aus der kurzzeitig bestehenden G8 ausschlossen.“
Flucht vor der Russland-Frage?
Ein möglicher Grund für Trumps vorzeitige Abreise vom G7-Gipfel könnten die heftigen Angriffe auf Kyjiw sein, vermutet Politologe Wadym Denyssenko in einem von Glavkom übernommenen Facebook-Post:
„In den vergangenen zwei Monaten haben die Ukraine, die Europäer und mehrere Republikaner Druck auf Trump ausgeübt, damit er endlich entschlossen gegen Russland vorgeht. Diese Runde ging leider an Putin. Und beim G7-Gipfel, direkt nach dem russischen Beschuss, wäre das Thema Sanktionen zum zentralen Punkt geworden. Doch Trump will keine Entscheidungen treffen und hat deshalb beschlossen, abzureisen.“