Drohnen über Polen: Wie muss die Nato reagieren?
Mindestens 19 russische Drohnen sind in der Nacht zu Mittwoch teils Hunderte Kilometer weit in den Luftraum des EU- und Nato-Landes Polen eingedrungen. Einige von ihnen wurden abgeschossen. Warschau und andere Nato-Mitglieder verurteilten den Vorfall als gezielte Provokation gegen das gesamte westliche Militärbündnis. US-Präsident Donald Trump reagierte zurückhaltend und sprach von einem möglichen Fehler. Europas Presse beurteilt die Reaktionen.
Warschau zum Vorbild nehmen
Postimees lobt:
„Polen hat gezeigt, dass man den Kopf nicht in den Sand stecken und so tun sollte, als wüsste man nicht, woher diese Drohnen plötzlich gekommen sind. Man muss für sich selbst einstehen. Die baltischen Staaten müssen ihre Fähigkeiten zur Abwehr von Drohnen verbessern. ... Dass auch die Flugzeuge der Nato-Luftraumüberwachungsmission auf die Ereignisse in Polen reagiert haben, ist sicher positiv. Es ist jedoch nicht sehr effektiv, Drohnen mit Raketen zu zerstören, die um ein Vielfaches teurer sind als diese selbst. Dafür müssen kostengünstigere Mittel gefunden werden.“
Trump muss Position beziehen
Onet sieht den US-Präsidenten unter Zugzwang:
„Der Angriff russischer Drohnen ist ein Präzedenzfall und erfordert eine entsprechend beispiellose Reaktion seitens der Nato. ... Der Angriff Russlands war nicht nur ein Test für die Verteidigungsfähigkeit Polens und die Einheit des Westens, sondern vor allem ein Test für Donald Trump. Nachdem Wladimir Putin in Alaska der rote Teppich ausgerollt wurde, folgten eine Eskalation der Angriffe auf die Ukraine und Provokationen an der Ostflanke der Nato. Wenn es keine angemessene Reaktion des US-Präsidenten gibt, bedeutet dies eine unzweideutige und unwiderrufliche Demütigung für Trump und die USA.“
Moskau setzt auf Angst
Russlands Angriff richtet sich auch gegen Europas Solidarität mit der Ukraine, schreibt Dserkalo Tyschnja:
„Durch Angriffe auf andere europäische Staaten will Moskau deren Verwundbarkeit und Hilflosigkeit demonstrieren. Außerdem will es die Grundlage dafür schaffen, Lieferungen von Luftabwehrsystemen an Kyjiw zu stoppen. Hierzu muss die öffentliche Meinung in den europäischen Ländern beeinflusst werden. Wenn die Menschen dort eine reale Bedrohung durch russische Drohnen wahrnehmen, werden sie von ihren Regierungen fordern, zunächst den eigenen Luftraum zu schützen. Und sie werden der Idee, der Ukraine weitere Patriot-Systeme oder andere Flugabwehrwaffen zu liefern, skeptisch gegenüberstehen.“
Ohne Verantwortung lässt sich leicht fordern
Neatkarīgā kommentiert:
„Viele, insbesondere bei uns [in Lettland], fordern energischeres Handeln. Da Putin nur Gewalt verstehe. ... Diese Forderungen sind leicht verständlich. Wer nichts zu verantworten hat, kann auch ohne Zögern dazu aufrufen, den Kreml zu bombardieren oder alle Kontakte zu Russland abzubrechen. ... Viel schwieriger ist die Reaktion, wenn man für das Leben von Millionen von Menschen verantwortlich ist. Es ist ja nicht so, dass in Berlin, Warschau, Paris oder London keiner was versteht. Sie alle wissen genau, was für ein Typ Putin ist. Was man mit ihm tun soll, ist eine andere Frage. Leider gibt es auf diese Frage keine einfache Antwort. Erst recht nicht, wenn das letzte Wort in Bezug auf Europas Verteidigung letztlich beim US-Präsidenten Donald Trump liegt.“
Beunruhigend schwache Verteidigungsleistung
Der russische Drohnenangriff deckt Schwachstellen in der Nato-Verteidigung auf, analysiert Ewropeiska Prawda:
„Die Ergebnisse dieser Abwehraktion – noch dazu unter Einbeziehung einer niederländischen Luftwaffengruppe – sind wirklich inakzeptabel schlecht. Das lässt sich natürlich zum einen damit erklären, dass die Drohnen nicht auf strategische Ziele gerichtet waren, die möglicherweise besser geschützt sind, und zum anderen damit, dass die polnische Armee keine Kampferfahrung hat, während die Russen im Krieg gegen die Ukraine diese Erfahrung sammeln konnten. Doch das sind eher 'Rechtfertigungen' als wirkliche Erklärungen – sie entkräften die Kritik an der unzureichenden Verteidigung der Nato nicht, sondern verstärken sie womöglich sogar.“
Vielleicht sollte die Nato der Ukraine beitreten
Für die Süddeutsche Zeitung hat sich gezeigt, dass die Nato auf diese Art der Kriegsführung nicht vorbereitet ist:
„Sie kann mit enormem technischen Aufwand ein paar Drohnen abwehren, indem sie fast buchstäblich mit Kanonen auf Spatzen schießt. Aber kann sie sich auch verteidigen, wenn nicht 19, sondern 190 Drohnen an einem Tag angeflogen kommen? Oder 1900 in einer Woche? Das ist die Situation, in der sich die Ukraine befindet, die sich allerdings deutlich effektiver gegen die russischen Luftangriffe schützt. In Brüssel kursierte bisher der eher ironisch gemeinte Vorschlag, was die Drohnenabwehr angehe, sollte doch lieber die Nato der Ukraine beitreten als andersherum. Die Nacht zu Mittwoch hat gezeigt, dass das vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre.“
Ungarn am Scheideweg
Ungarn muss Solidarität mit Polen zeigen, fordert Népszava:
„'Das ist nicht unser Krieg', hatte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó Ende August gekontert, nachdem der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha gesagt hatte, Ungarn stehe auf der falschen Seite der Geschichte. Durch den schweren Drohnenangriff auf Polen wurde Szijjártós Behauptung endgültig entkräftet. Und zwar nicht nur, weil polnisches und damit Nato-Gebiet angegriffen wurde, sondern auch wegen der alten polnisch-ungarischen Freundschaft. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie der Aggressor bereits ein Land bedroht, das untrennbar mit Ungarn verbunden ist.“
Egal, ob Zufall oder bewusste Provokation
Russland testet, wie weit es gehen kann, warnt Krytyka Polityczna:
„Selbst wenn man (naiv) davon ausgeht, dass die einzelnen Verletzungen des polnischen Luftraums das Ergebnis eines Zufalls, einer ungeplanten Kursabweichung oder einer technischen Störung und keine bewusste Provokation sind, betrachtet Russland sie dennoch als Test unserer Reaktionsbereitschaft. Wenn keine Reaktion erfolgt, wird der Kreml es weiter versuchen, noch heftiger und noch tiefer, und dabei Informationschaos verbreiten.“
Nato darf Stärke nicht weiter scheuen
Angst ist in dieser Situation ein schlechter Ratgeber, meint Newsweek Polska:
„Die Achillesferse der Nato ist nicht der Suwałki-Korridor [Engstelle zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad in der die Grenze zwischen Litauen und Polen verläuft], sondern die Angst, Russland zu provozieren. Westliche Politiker wiederholen wie ein Mantra, dass Putin nur die Sprache der Stärke verstehe, aber sie scheuen sich, Stärke zu zeigen. ... Seit der Annexion der Krim ist klar, dass Russland früher oder später beschließen wird, zu testen, wie viel die wechselseitigen Sicherheitsgarantien der Nato wirklich wert sind. Die nächtliche Drohnen-Aktion ist ein Vorspiel für einen solchen Test.“
Anders als Rumänien ist Polen robust
Polen hat angemessen reagiert, lobt republica.ro:
„Was Russland zeigen will, ist, dass der Artikel 5 in der Praxis nicht funktioniert. ... Es will der ganzen Welt zeigen, dass es einen Nato-Staat angreifen kann und dass nichts passiert, aus Angst vor einer Eskalation des Konfliktes auf ganz Europa. Die russische Logik hätte in einem Land wie Rumänien funktioniert, das aus Angst lieber die Augen verschließt bei ein oder zwei Drohnen. ... Und genau das kann man über Polen nicht sagen, das bereits begonnen hat, Maßnahmen zu ergreifen und sich auf einen eventuellen Konflikt mit Russland vorbereitet.“
Belarus soll mit hineingezogen werden
Der Politologe Abbas Galljamow fragt sich in einem von Echo übernommenen Telegram-Beitrag, wo die Drohnen gestartet sind:
„Von prinzipieller Bedeutung ist, ob die Drohnen vom Territorium Russlands losgeschickt wurden oder ob sie aus Belarus geflogen kamen, wo die russische Armee sich gerade auf gemeinsame Manöver mit den belarusischen Streitkräften vorbereitet. Wenn es für Putin in dem Geschehenen einen Sinn gibt, so liegt er darin, Polen zu einem Rückschlag auf belarusisches Territorium zu zwingen, um es auf diese Weise auch in den Konflikt hineinzuziehen.“
Jetzt liest jemand fleißig soziale Medien
Was genau Russland mit dieser Aktion testen will, analysiert news.bg:
„Es geht den Russen dabei nicht darum, herauszufinden, ob die polnische Luftabwehr und Luftwaffe funktionieren. Der eigentliche Test läuft gerade in diesem Moment. Die russischen Dienste beobachten die sozialen Netzwerke, um die Reaktion der Öffentlichkeit zu verfolgen. Auch die Äußerungen aller europäischen Staats- und Regierungschefs und Verteidigungsminister werden ausgewertet sowie die Reaktion von Trump und den USA. Europa ist nicht bereit. Solche Provokationen werden in den kommenden Jahren immer häufiger vorkommen.“
Zu lange nur zugeschaut
Das ängstliche Zögern des Westens war ein Fehler, der sich jetzt rächt, meint Novinky.cz:
„In der Ukraine, oder zumindest über ihrem westlichen Teil, hätte schon längst eine Flugverbotszone verhängt und von den Streitkräften der Allianz gesichert werden müssen. Und zwar nicht nur, um es der Ukraine leichter zu machen, sondern auch, um den Luftraum ihrer eigenen Länder zu schützen und eine weitere große Flüchtlingswelle aus der Ukraine zu verhindern. ... Und lange überfällig war eine Aufhebung der Beschränkungen für den Einsatz der gelieferten Waffen und deren Nutzung beim Beschuss von Zielen auf russischem Gebiet. Es zeigt sich, dass Russland unsere Maßnahmen nicht als Zurückhaltung wahrnimmt, mit der wir eine Eskalation verhindern wollen, sondern als unsere Schwäche auslegt, die es erlaubt, den Konflikt eskalieren zu lassen.“
Risiken mit kühlem Kopf abwägen
Kolumnist Bart Eeckhout warnt in De Morgen vor einer unüberlegten Reaktion:
„Natürlich wird es Kritiker geben, die die Reaktionen zu schwach finden. Ich glaube, sie irren sich. Es gibt schon länger die Idee, dass die europäischen Partner den ukrainischen Luftraum aktiv mit verteidigen sollten. Ist dies nun der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt? Die Debatte darf geführt werden, aber es wäre ein großer Schritt in Richtung einer vollständigen europäischen Beteiligung am Krieg und einer direkten Konfrontation mit Russland. Man geht davon aus, dass Putin vor dieser ultimativen Konfrontation zurückschrecken würde. Das kann sein. Es ist jedoch ein gigantisches Risiko.“
Putin nutzt die Gunst der Stunde
Corriere della Sera sieht den Kreml-Chef im Aufwind:
„Putin fühlt sich stark und erhöht den Einsatz, bedroht die Europäische Union mit dem Ziel, sie unter Druck zu setzen, ihre Reaktionsbereitschaft zu testen und die bekannten ihm wohlgesonnenen Kräfte auf dem Alten Kontinent zu seinen Gunsten zu mobilisieren. ... Die Verhandlungen mit Donald Trump über den Frieden in der Ukraine sind im Sande verlaufen. Die Unentschlossenheit des Weißen Hauses ermutigen ihn. ... Die chinesische Party am Hofe von Xi Jinping hat ihm zusätzliches Selbstvertrauen gegeben, wie ein Freibrief, um die Lage weiter zu forcieren.“