Zwei Jahre nach dem Massaker: Quo vadis, Israel?

Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas im Süden Israels einen Terrorangriff, bei dem etwa 1200 Menschen getötet und 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seither führt Israel einen Krieg gegen die Hamas in dem dichtbesiedelten Palästinenser-Gebiet. Die Medien nehmen den Jahrestag zum Anlass für Analysen der Lage im Nahen Osten.

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La Stampa (IT) /

Angststarre verhindert Neubeginn

Die israelische Schriftstellerin Tamar Weiss-Gabbay beschreibt in La Stampa ein nationales Trauma:

„Viele sagen heute, dass wir uns immer noch im Oktober 2023 befinden. ... Sie sagen das, weil – obwohl die Bedrohung verschwunden ist – die Angst geblieben ist und weil alles, was in den zwei Jahren seitdem passiert ist, den Abgrund tiefer gemacht hat und uns noch nicht zum 'Tag danach' gebracht hat: dem Tag, an dem wir uns wieder aufrappeln, den Abgrund erklimmen, ihn überwinden, uns umsehen und versuchen, die Zerstörung zu beheben – die Zerstörung, die uns zugefügt wurde, und die Zerstörung, die wir selbst angerichtet haben. Ich glaube, einer der Gründe, warum wir immer noch in den Tiefen des Abgrunds stecken und warum wir unserer Führung erlauben, immer noch dort zu sein, ist, dass unsere Herzen vor Angst erstarrt sind.“

Liberal (GR) /

Grundlegend veränderte Landkarte

Die Reaktion Israels auf das Massaker hat die Machtverhältnisse im Nahen Osten gravierend verändert, schreibt Liberal:

„Die beispiellosen Taten der Terroristen an diesem Tag und die Jubelrufe der Palästinenser in Gaza, wohin Leichen und Geiseln gebracht wurden, sollten die Landkarte der Region verändern. Das war das Ziel der Hamas-Führung. Aber letztendlich haben dann die Israelis die Landkarte der gesamten Region verändert. Die Hisbollah im Libanon wurde zerschlagen, das Assad-Regime in Syrien stürzte, Iran erlitt auf allen Ebenen eine schwere Niederlage, und die Hamas hat sowohl in ihrer Führung als auch unter ihren 'Soldaten' Tote zu beklagen.“

Club Z (BG) /

Antisemitismus ist salonfähig geworden

Die Hamas ist militärisch besiegt, aber ideologisch stärker denn je, lautet das Fazit von Club Z:

„Sie bekommt unerwartete Unterstützung vom Westen. Ihre Ideologie hat sich überraschend weit verbreitet, und ihr Informationskrieg ist äußerst erfolgreich. Es kommt sogar so weit, dass zwei Jahre nach dem blutigen Massaker alle Welt zu Massenprotesten aufruft, um nicht die Hamas, sondern Israel zu verdammen. Antisemitismus ist kein Grund mehr, sich zu schämen. Der 7. Oktober wird seine Folgen in Europa erst noch entfalten. Israel seinerseits steht vor einer schmerzhaften Frage: Kann es weiterhin als Demokratie bestehen, wenn es zugleich eine Festung für alle Juden der Welt sein muss?“

Latvijas Avīze (LV) /

Fataler Imagewandel

Latvijas Avīze analysiert die starke Unterstützung für die Palästinenser vor allem unter jungen Menschen in den westlichen Ländern:

„Dies ist eine Frage des Generationswechsels, denn ältere Menschen erinnern sich an Israel als einen mutigen, jungen Staat, der sich nicht scheute, sich weitaus stärkeren arabischen Mächten entgegenzustellen. Sie erinnern sich auch an den palästinensischen Terrorismus in den 1970er und 1980er Jahren, beispielsweise an das Massaker während der Olympischen Spiele 1972 in München. Für die heutige Jugend ist all dies jedoch eine ferne Vergangenheit; sie betrachtet Israel als einen Aggressor, der palästinensisches Land besetzt und palästinensische Frauen und Kinder ermordet.“

Der Standard (AT) /

Friedliche Koexistenz ist derzeit undenkbar

Trumps Friedensplan bietet nur begrenzte Hoffnungen, die Folgen des 7. Oktober zu überwinden, meint Der Standard:

„Werden die letzten rund 20 lebenden Geiseln tatsächlich freigelassen ..., so könnte sich eine der vielen Wunden in dieser Tragödie schließen. Aber viele andere Risse zwischen Israelis und Palästinensern bleiben offen. ... Das Massaker vom 7. Oktober hat in Israel den Glauben, dass es je eine Koexistenz mit Palästinensern geben kann, weiter untergraben. Und zwei Jahre Gazakrieg, begleitet von wachsender Brutalität radikaler israelischer Siedler gegen Dörfer im Westjordanland, haben auch bei den Palästinensern den Willen zum Frieden abgetötet. ... Die Zweistaatenlösung ... rückt nach Einschätzung aller Beobachter immer weiter in die Ferne.“