Zeitumstellung: Muss das noch sein?
In der Nacht auf Sonntag sind die Uhren auf Winterzeit zurückgestellt worden. Viele Menschen konnten eine Stunde länger schlafen – oder über den Sinn der Zeitumstellung nachdenken. Der spanische Premier Pedro Sánchez will sich in der EU für deren Abschaffung einsetzen und sieht die Mehrheit der Europäer eindeutig hinter sich. Ein Blick in die Kommentarspalten zeigt jedoch ein differenzierteres Bild.
Argumente aus der Vergangenheit
Die Zeitumstellung ist nicht mehr zeitgemäß, findet news.bg:
„Als Strom hauptsächlich für die Beleuchtung verwendet wurde, brachte die Zeitumstellung tatsächlich gewisse Einsparungen mit sich. Heute ist diese Logik jedoch überholt. Die modernen Volkswirtschaften sind rund um die Uhr aktiv, Menschen arbeiten in Schichten, die Beleuchtung ist energiesparend und der Großteil des Verbrauchs entfällt nicht auf Lampen, sondern auf Klimaanlagen, Computer und Elektrogeräte, die unabhängig von der Sonne betrieben werden. Die Europäische Kommission räumte bereits 2018 ein, dass die energetischen Vorteile der Zeitumstellung minimal oder ungewiss sind. In einigen Ländern ist sogar ein gegenteiliger Effekt zu beobachten: Die Menschen verbrauchen morgens, wenn es noch dunkel ist, mehr Strom.“
Im Einklang mit der menschlichen Biologie
Einen positiven Effekt der Zeitumstellung beschreibt Umweltepidemiologie Manolis Kogevinas in El País:
„Sonnenlicht ist das wichtigste Signal, das unseren Körper mit Tag und Nacht synchronisiert. ... Die Zeitumstellung soll uns genau im Einklang halten und die Sonnenstunden maximieren, in denen wir wach und aktiv sind. In diesem Sinne entspricht diese Maßnahme der menschlichen Biologie. ... Hören Sie auf Ihren Körper: Wachen Sie mit dem Sonnenlicht auf, nicht mit Ihrem Wecker. Ihre biologische Uhr wird es Ihnen danken.“
Da könnte ruhig mal Brüssel entscheiden
Kommentator Tomáš Procházka wirbt in Lidové noviny für ein Machtwort aus Brüssel:
„Es würde zweifellos unserem Körper und unserem Geldbeutel guttun, wenn wir ernsthaft darüber nachdenken würden, ob wir dieses einst effektive, heute aber starre und völlig unnötige Modell der Zeitumstellung noch brauchen. Die Europäische Kommission wird und kann uns diesbezüglich nichts vorschreiben. Sie wird lediglich Empfehlungen aussprechen – und dann liegt es an den einzelnen Mitgliedstaaten, zu entscheiden, welcher Zeitachse sie künftig folgen. Aber obwohl wir die europäische Zentralisierung in vielerlei Hinsicht vehement ablehnen, würde ich persönlich in diesem Fall die Entscheidung Brüssels zur Vereinheitlichung der Zeit und zur ursprünglichen, das heißt mitteleuropäischen Zeit, nur begrüßen.“
Jetzt keinen Streit vom Zaun brechen
Die EU hat wahrlich genug andere Probleme, seufzt Ilta-Sanomat:
„Ist es überhaupt notwendig, über Sommer- und Winterzeit zu streiten, wenn wir gemeinsam gegen die aggressive Kriegspolitik Wladimir Putins und einen möglichen Krieg, der ganz Europa bedroht, kämpfen müssen? Es gibt wohl keine eindeutige Antwort auf diese Fragen, da verschiedene Menschen unterschiedlich reagieren. Klar ist jedoch, dass die Europäische Union ihre Zeit nicht mit sinnlosen Debatten über die Umstellung der Uhren verschwenden sollte. Wenn und sobald die Umstellung irgendwann abgeschafft wird, muss die Entscheidung so getroffen werden, dass sie Europa zumindest nicht spaltet.“
Den Zauber der Stunde nutzen
Der Tagesspiegel begreift die Zeitumstellung als einen Akt der Rebellion gegen die allgemeine Schnelligkeit:
„Die Uhr wird zurückgestellt. Jeder weiß, dass es unmöglich ist. Zeit vergeht, sie kommt nicht wieder. So liegt in dieser einen Stunde, die gleichsam aus der Zeit fällt, ein gewisser Zauber. Erfahrungsgemäß bemerkt man es am nächsten Morgen. Etwas fühlt sich anders an, etwas hat sich leicht verschoben. Es könnte ein Moment sein, ein Licht anzuzünden.“