Dschungel von Calais wird geräumt

Das als "Dschungel" bezeichnete Flüchtlingslager in Calais ist am Montag von der Polizei geräumt worden. Die mehr als 6.000 Bewohner werden in Aufnahmezentren in ganz Frankreich untergebracht. Während einige Kommentatoren sich mit dem Schicksal der Flüchtlinge beschäftigen, fordern andere von der EU, endlich eine wirksame Migrationspolitik umzusetzen.

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Le Monde (FR) /

EU muss sich endlich auf Zuwanderung einstellen

Wollen die EU-Staaten die Entstehung von Flüchtlingslagern wie in Calais künftig verhindern, müssen sie die Migrationspolitik neu gestalten, drängt Le Monde:

„Die Zuwanderung wird nicht aufhören. Sie beginnt gerade erst. ... 'Dschungel' wie in Calais oder anderswo könnten sich vervielfachen. Es sei denn, die Länder der Europäischen Union nehmen endlich wahr, dass die Neukonstruktion Europas auf folgender Herausforderung basieren muss: der Steuerung und Integration eines Teils der großen Migrationsbewegung, die dieses Jahrhundert prägen wird. Enorme Investitionen sind nötig: Zentren zur Prüfung von Asylanträgen in den Herkunftsländern sowie jährliche Gipfeltreffen zwischen diesen und der EU, um zu definieren, was in Sachen Zuwanderung möglich ist und was nicht. Zudem brauchen wir eine Reform unseres Wohlfahrtsstaats, damit dieser die schöne aber schwierige Aufgabe lösen kann, die die Integration darstellt.“

Gazeta Polska Codziennie (PL) /

Alles nur Wirtschaftsflüchtlinge

Dass die Bewohner des Dschungels wirklich schutzbedürftig sind, bezweifelt der rechtskonservative französische Journalist Olivier Bault in Gazeta Polska Codziennie:

„Aus Calais werden keine Flüchtlinge heraus geholt, sondern illegale Immigranten. Denn die Mehrheit, die dort in diesen Slums kampiert, sucht ein besseres Leben in Großbritannien und flieht bestimmt nicht vor Verfolgung. Britische Medien haben in der vergangenen Woche von Minderjährigen aus Calais berichtet, die aussahen wie 30- oder 40-Jährige. Großbritannien hatte sich nämlich im Zusammenhang mit der Evakuierung des 'Dschungels' verpflichtet, dass es Minderjährige aufnimmt, die auf der Insel eine Familie haben. In einigen Fällen hat sich dann herausgestellt, dass diese Familie in Großbritannien eine reine Fiktion war. Mittlerweile wundern und sorgen sich die Einwohner vieler französischer Städte und Gemeinden, dass die angeblichen Flüchtlinge, die sie aufnehmen sollen, ausschließlich junge Männer sind.“

LSM (LV) /

Von einem Dschungel in den nächsten

Mit der Zukunft der Flüchtlinge von Calais beschäftigt sich das Onlineportal des öffentlich-rechtlichen Senders LSM:

„Man wünscht sich, dass es den Flüchtlingen auch auf dem Festland gut geht. Und dass sie auf die richtigen Menschen und die richtigen Lehrer treffen, die ihnen einen Stift und nicht eine Waffe in die Hand drücken. ... Der Dschungel von Calais ist unerbittlich und wie aus jedem Dschungel kommt niemand mit heiler Haut heraus. ... Bald wird der Dschungel von Calais dem Erdboden gleichgemacht, Bulldozer werden die Plastikzelte zur Seite schieben und die Menschen werden mit Bussen in Aufnahmezentren gebracht. Einige werden weglaufen, in der Hoffnung, in der Nähe des Hafens bleiben zu können und später auf die Fähre nach Großbritannien zu kommen. Von einem Dschungel in den anderen. Wäre es nicht besser, diese Menschen nicht im Dschungel sondern in den Gärten von Kabul zu treffen?“

Il Sole 24 Ore (IT) /

Frankreich versagt erneut bei Integration

Mit Calais beweist Frankreich erneut, dass seine Migrationspolitik grundlegend gescheitert ist, wettert Il Sole 24 Ore:

„Selbst wenn man von den höchsten Schätzungen der Anzahl der Flüchtlinge in Calais (8.000) ausgeht, bedeutet ihre Verteilung auf die 450 Aufnahmezentren im Schnitt 18 Personen pro Zentrum. Ein modernes, ziviles und gut organisiertes Land sollte eine solche Zahl wohl ohne weiteres verkraften können. Das eigentliche Problem ist, dass diese Situation (auf die die herrschende Klasse seltsamerweise nicht vorbereitet zu sein schien) sich in einen bereits explosiven gesellschaftlichen Kontext einfügt – mit Ghettos in der Peripherie, Radikalisierung und Verbreitung des islamischen Fundamentalismus. Angst, Misstrauen und Feindseligkeit werden geschürt und von der Propaganda der Rechtsextremen noch angeheizt. Die Lösung ist offenkundig nicht, die Grenzen zu schließen, sondern auf echte Integration zu setzen.“

Le Figaro (FR) /

Geregelte Zuwanderung wird damit unmöglich

Die Verteilung der Flüchtlinge in ganz Frankreich ist eine schlechte Lösung, meint der Jurist Xavier Saincol in Le Figaro:

„Langfristig hat eine derartige Bewältigung der Flüchtlingskrise verheerende Folgen. Sie führt zu einer negativen Auffassung von Zuwanderung als Ergebnis der staatlichen Ohnmacht und als Ursache des Chaos. Eine organisierte, regulierte, geregelte und mit den Herkunftsländern ausgehandelte Zuwanderung könnte für unser Land ebenso wie für ganz Europa in wirtschaftlicher, demografischer und kultureller Hinsicht eine echte Chance sein. Mit ihrer Politik der regionalen Zwangsverteilung von illegalen Einwanderern begräbt die Regierung de facto die Grundsätze einer Beherrschung des Zuwanderungsstroms und eines Kampfs gegen illegale Einwanderung. Sie verhöhnt die Vorstellung von einer positiven, geregelten Zuwanderung, die für Frankreich förderlich ist.“

ABC (ES) /

Lösung kann nur provisorisch sein

Die Räumung des Lagers von Calais ändert langfristig nichts an der Flüchtlingsproblematik, mahnt ABC:

„Die französische Polizei weiß, dass das nun geräumte Zeltlager in einigen Monaten mit Sicherheit wieder mit verzweifelten Menschen gefüllt sein wird, die auf ein besseres Leben in Großbritannien hoffen. Genauso, wie das Mittelmeer voller Menschen ist, die vor Krieg und Elend fliehen, treffen sich an der Küste im Norden Europas Tausende, die auf eine Reise hoffen, die keine Gesetze und keine Grenzen kennt. ... Die Einwanderung, ob legal oder illegal, ist ein europäisches Thema mit vielen positiven aber auch problematischen Aspekten. In beiden Fällen müssen die europäischen Behörden Realismus und Verstand an den Tag legen, um zu verhindern, dass die populistischen Stimmen von dieser Krise profitieren. Die Flüchtlinge von einem Ort an den anderen zu verlegen, ist nur ein Pflaster auf die Wunde.“

Savon Sanomat (FI) /

Warum Großbritannien Sehnsuchtsort ist

Die Flüchtlinge in Calais sehen Großbritannien als Tor zur englischsprachigen Welt, was die hohe Anziehungskraft des Inselreichs erklären mag, spekuliert Savon Sanomat:

„Aus verschiedenen Gründen wollen die Flüchtlinge, selbst wenn sie Asyl haben, nicht in Frankreich oder sonst wo auf dem europäischen Festland bleiben. ... Eine Erklärung dafür ist, dass jetzt die letzte Gelegenheit ist, um in das Inselreich zu gelangen. Das macht das Rätsel aber noch rätselhafter: Warum wollen Menschen in ein Land, dem alle Wirtschaftsprognosen für die Zukunft eine tiefe Krise vorhersagen? ... Ein Grund kann die Bekanntheit der englischen Sprache und Kultur sein. Großbritannien wird zudem als Tor zur übrigen englischsprachigen Welt gesehen. Deren globale Gesamtheit erscheint als Welt der Möglichkeiten, in der der Einzelne mehr ist als ein Gegenstand behördlicher Maßnahmen.“