Ist Massentourismus per se schlecht?

Im Sommer drängen sich Massen von Touristen an Europas beliebtesten Urlaubsorten und die Klage darüber wird von Jahr zu Jahr lauter. Städte wie Barcelona, Dubrovnik oder Venedig versuchen, sich mit verschiedenen Maßnahmen dagegen zu wehren. Ob der Massentourismus die Städte zum Positiven oder Negativen verändert, darüber debattieren Kommentatoren.

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Athens Voice (GR) /

Touristen sind ein positiver Wirtschaftsfaktor

Die griechische Regierung will Vermietungen über Plattformen wie Airbnb einschränken, da sie für steigende Mieten verantwortlich gemacht werden. Athens Voice stellt heraus, dass sie nicht die Wurzel allen Übels sind:

„Oftmals ist es auch ein Tagelöhner, der sein Haus vermietet, um sein Einkommen aufzubessern. ... Zudem ist es absolut fernab der Realität, einen Zusammenhang zwischen Airbnb-Mietverträgen und dem Niedergang von Nachbarschaften zu sehen. Das genaue Gegenteil passiert, wie ein Beispiel aus dem Stadtteil Koukaki zeigt: Die Nachbarschaft war schon seit Jahren im Niedergang begriffen. Geschäfte wurden geschlossen, Straßen waren menschenleer, Unternehmen zogen weg, Anwohner suchten vergeblich nach Arbeit. ... Nebentätigkeiten rund um Airbnb-Vermietungen haben unmittelbare finanzielle Auswirkungen. Tausende sind nun in kleinen Unternehmen beschäftigt.“

Ria Nowosti (RU) /

Urlaub überflüssig machen

In Russland beschweren sich viele Einwohner über die Touristenmassen aus China - unter anderem am Baikalsee. Der Journalist Dmitri Kosyrev schlägt in Ria Nowosti vor, den Fokus zu verschieben:

„Das Problem des 'Übertourismus' ist wohl ein menschliches. ... Es ist einfach so, dass in der chinesischen Gesellschaft jetzt genau das beginnt, was in den westlichen schon seit längerem existiert: Stress und der Wunsch, davor wegzulaufen. ... Irgendwer sagt, dass es inzwischen einfach zu viele Menschen auf der Erde gibt. Aber möglich ist auch eine andere Antwort: Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Menschheit lernt, die Existenz der Menschen dort, wo sie das ganze Jahr leben, erträglicher zu machen?“

Aktuálně.cz (CZ) /

Prags Bürger werden unterdrückt

Tschechiens Hauptstadt Prag hat in einer jährlichen Umfrage nach den lebenswertesten Orten des Landes erneut den zweiten Platz belegt, was Aktuálně.cz auf die Palme bringt:

„'Ich habe Angst vor immer mehr Touristen, das Tempo ist verrückt', sagt der Prager Bürgermeister. Doch der Tourismus und sein Einfluss auf die Lebensqualität spielen in dem Ranking keinerlei Rolle. 2018 haben mehr als acht Millionen Menschen aus dem Ausland Prag besucht. Tendenz steigend. Prag ist die vierthäufigst besuchte Stadt Europas. Sie ist übersättigt, überfüllt. Das Zentrum leidet unter der schwer zu ertragenden Zahl von Touristen. Der Tourismus erhöht die Preise und erschwert das Leben der Einheimischen. Sie sind in der eigenen Stadt ein leidendes, unterdrücktes Element. Eine Möglichkeit, den Zustrom zu begrenzen, gibt es nicht. Lebt Prag auf diese Weise wirklich mit am besten in der Tschechischen Republik?“

Politiken (DK) /

Kreuzfahrtschiffe ausbremsen

Dass es mit dem Massentourismus nicht so weitergehen kann wie bisher, muss für jeden klar sein, findet Politiken und sucht nach Auswegen:

„Ganz klar muss eine Klimaabgabe auf den CO2-Ausstoß von Flugzeugen erhoben werden. ... Ein anderer, dringend notwendiger Ansatz wäre es, die Zahl der großen Kreuzfahrtschiffe zu begrenzen, die Kopenhagen anfahren. Die Kosten für das Anlegen am Kai müssen steigen und die ungeheuer schmutzigen Motoren müssen während der Liegezeit abgeschaltet werden. Nichts davon wird den Herausforderungen des Massentourismus endgültig begegnen, aber es wäre ein Anfang.“

Sol (PT) /

Tourismus kann auch bereichern

Anstatt den Massentourismus schlechtzureden, schlägt Jornal Sol vor, seine Vorteile zu begrüßen:

„Die Debatte über die Vor- und Nachteile des Tourismus ist noch lange nicht beendet. Der Tourismus ist unumgänglich und deshalb ist es wichtiger, die Nachteile zu lindern und die Vorteile zu fördern, anstatt eine fundamentalistische Meinung dafür oder dagegen zu vertreten. ... Lissabon ist chaotischer. Aber es gibt ein viel größeres und vielfältigeres Angebot an Sehenswürdigkeiten, die die Stadt bereichern. Ein Teil der Stadterneuerung, der Erholungsgebiete, der Restaurants, Terrassen, Freizeitaktivitäten und kulturellen Einrichtungen sind dank des Tourismus eine zukunftsfähige Realität.“

Dinheiro Vivo (PT) /

Fremd in der eigenen Stadt

Lissabon wird für Besucher aufgemotzt und Bewohner profitieren kaum davon, klagt die Journalistin Ana Rita Guerra in Dinheiro Vivo:

„Im Gegensatz zu dem Gefühl, das ich vor zwei Jahren hatte, als man schon Beschwerden über die Zunahme des Tourismus hörte, ist es diesmal unbestreitbar, dass Lissabon von einem Touristenboom erobert worden ist, der die Stadt verschandelt. Wie bei allen Städten, die zu Reisebüros werden, haben sich die Strukturen dahingehend gewandelt, Ausländern und nicht den herkömmlichen Einwohnern zu dienen. Diese Gemütlichkeit des Lebens in Lissabon wurde durch eine Karikatur für Touristen ersetzt und mir wurde endlich klar, was es heißt, sich in einer Stadt, die einst meine war, fehl am Platz zu fühlen.“

Le Quotidien (LU) /

Landurlaub auf eigenes Risiko

In Frankreich entwickelt sich eine neue Methode zur Entschärfung von Problemen zwischen städtischen Touristen, die auf dem Land Urlaub machen, und der Dorfbevölkerung, beobachtet Le Quotidien am Beispiel des Bürgermeisters des südfranzösischen Dorfs Saint-André-de-Valborgne:

„Er hat am Eingang seiner Gemeinde ein Schild aufgestellt, um die Touristen ausdrücklich zu warnen, die dort ihre Ferien verbringen möchten. Es zeigt an, dass in diesem Dorf morgens die Hähne krähen, dass die Kirchglocken regelmäßig läuten und dass es auch Kühe auf den Feldern gibt, die Lärm machen können. 'Betreten auf eigene Gefahr', präzisiert das Schild. ... Derartige Schilder könnten vermehrt auftauchen am Eingang kleiner Dörfer, die langsam genug von den Wutausbrüchen gewisser Touristen haben, die an den Lärm und das Chaos in den Städten gewöhnt sind, doch die Laute eines Esels nicht tolerieren.“