Ein neues VW-Werk in Südosteuropa?

Der Autobauer VW hat seine Pläne, ein neues Werk in der Türkei zu eröffnen, auf Eis gelegt. Als Grund dafür nannte das Unternehmen den Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien. Zwar sucht der Konzern offiziell noch nicht nach einem neuen Standort, doch bringen sich einige Länder bereits in Stellung. Medien in Rumänien und Bulgarien buhlen offen um das Werk, in Kroatien ist man etwas verhaltener.

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News.bg (BG) /

Vom Werk in Bulgarien hätten alle was

Nicht nur für Bulgarien, auch für die europäischen Steuerzahler wäre die VW-Investition ein Segen, findet news.bg:

„Bulgarien ist ein Netto-Empfänger von EU-Mitteln. Eine Investitionsspritze dieser Größenordnung würde der bulgarischen Wirtschaft einen enormen Schub geben und mittelfristig die Notwendigkeit von EU-Subventionen verringern. Für die europäischen Steuerzahler wäre das folglich eine ernst zu nehmende Entlastung. … Es wird gemutmaßt, dass allein die VW-Investition Bulgariens Bruttoinlandsprodukt um drei Prozentpunkte steigern könnte.“

Ziarul Financiar (RO) /

Rumänien macht Wünsche wahr

In Rumänien stehen VW alle Wege offen, wirbt der Student Marc Damian in Ziarul Financiar für sein Land:

„VW, man wird dir sagen, dass Rumänien keine Autobahnen hat und an einem Fachkräftemangel leidet. Das stimmt zwar in gewisser Hinsicht für 2019, aber: Zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung für ein Werk und der Inbetriebnahme vergehen drei bis vier Jahre. ... In diesem Zeitraum können 300 bis 400 Kilometer Autobahn gebaut werden. ... Sag du, wo die Autobahn hingehen soll, und dort wird sie gebaut. Heute werden Autobahnen gebaut, deren Verlauf Ford und Renault mitbestimmt haben, also lege deine Forderungen vor. Und in drei bis vier Jahren werden 2000-3000 Facharbeiter für die Automobilindustrie ausgebildet.“

Večernji list (HR) /

Finger weg von Fließbandarbeit

Man sollte nicht versuchen, das VW-Werk nach Kroatien zu holen, findet Večernji list:

„Wenn internationale Konzerne ihre Werke in nicht entwickelten oder in Entwicklungsländern bauen, rechnen sie mit niedrigeren Löhnen und Kosten und vergeben nur Routineaufgaben mit geringstem Mehrwert dorthin. Diejenigen mit hohem Mehrwert - Erforschung und Entwicklung von Technologien, Planung, Produktionsverwaltung, Marketing, Distribution und Dienstleistungen - behalten sie für sich. Das ist nichts, worüber sich Kroatien freuen oder wonach es streben sollte, nur weil die regierenden Politiker nichts Besseres kennen. Fließbandarbeit anzuziehen und zu unterstützen, ist für Kroatien heute zweifellos die falsche, populistische Industriepolitik, selbst im Autobau.“

Handelsblatt (DE) /

Moral wird zum Entscheidungskriterium

Dass in die Standortentscheidung eines Unternehmens auch moralische Erwägungen einfließen, ist ein neues Phänomen, stellt das Handelsblatt fest:

„[F]ür den Standort Türkei [gibt es] aus Unternehmenssicht viele Gründe ... Vor zehn Jahren wäre eine solche Entscheidung vermutlich in einer einzigen Aufsichtsratssitzung beschlossene Sache gewesen. Heute müssen sich die Manager aber darauf einstellen, dass ihre Stakeholder – Kunden, Aktionäre, Mitarbeiter –, dass Medien und soziale Netzwerker moralische Verantwortung aus den Führungsetagen erwarten. Manchmal ist es auch nur eine Frage des richtigen oder falschen Zeitpunkts. Als Mercedes im April ein neues Werk in Russland eröffnete, interessierte sich niemand dafür. Jetzt, wo wegen des Militäreinsatzes die Kritik an der Türkei wächst, muss Volkswagen reagieren.“