Von der Leyen in London: Erstes Brexit-Kräftemessen

Am Mittwoch hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen erstmals den britischen Premier Johnson in London besucht. Dabei kündigte sie an, Brüssel werde bei den Verhandlungen über die Rahmenbedingungen für den Brexit in zentralen Punkten keine Kompromisse machen können. Kommentatoren diskutieren, mit welchen Zielen beide Seiten in die Gespräche einsteigen - und wer am längeren Hebel sitzt.

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Süddeutsche Zeitung (DE) /

Großbritannien ist politisch im Vorteil

Wer denkt, im Brexit-Drama sei das Schlimmste überstanden, liegt falsch, warnt die Süddeutsche Zeitung:

„Die Verhandlungen über die künftige Beziehung werden weitaus härter als jene über den Austrittsvertrag. Qua Wirtschaftskraft sitzt die EU zwar nach wie vor am längeren Hebel. Doch politisch werden sich die Gewichte dramatisch verändern. Mit Boris Johnson gibt es nun einen Premierminister, der über eine Macht verfügt wie lange niemand in Downing Street. Auf der anderen Seite steht eine Kommissionschefin, die es sehr viel schwerer hat als ihr Vorgänger. Noch können die EU-Staaten ihre Einheit wahren. Doch sobald es um ein Freihandelsabkommen nach dem Brexit geht, werden die unterschiedlichen Interessen aufflammen. Johnson kennt die alten Freunde in der EU. Der Premier wird sie auf eine harte Probe stellen. Er wird versuchen, die Union zu spalten.“

Blog David McWilliams (IE) /

Johnson hat kein Interesse an hartem Brexit

Der britische Premier wird die Gespräche mit der EU pragmatisch angehen, zeigt sich der Ökonom David McWilliams in seinem Blog überzeugt:

„Johnson wird Handelshemmnisse mit der EU vermeiden wollen, die sich wirtschaftlich negativ auswirken würden - vor allem, weil er im großen Stil Schulden machen will, um seine neue Anhängerschaft im Norden Englands zufriedenzustellen. Seine bisherige Amtsführung legt nahe, dass er sich für einen Brexit entscheiden wird, der keine radikale Trennung von der EU bringt. Das geht nur mit einer relativ engen Anlehnung an deren Regelwerk. Bei Handelsgesprächen geht es letztlich vor allem um Macht. Johnson musste vor der Unterhauswahl nationalistisch klingen. Doch jetzt, da er gewonnen hat, sollte der Pragmatismus regieren. Mit seiner parlamentarischen Mehrheit wird er die Partei auf jene Strategie einschwören können, die für die Wirtschaft am besten ist.“