London lässt Impfstoff zu: Etappensieg gegen Covid?

Die britischen Gesundheitsbehörden haben eine Notfallzulassung für den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer erteilt. Den ersten 800.000 Britinnen und Briten soll BNT162b2 bereits kommende Woche verabreicht werden. Gesundheitsminister Hancock sagte, er sei stolz, dass das Königreich dies als erster Staat ermögliche. Nicht alle Kommentatoren sehen die schnelle Zulassung als bedeutenden Meilenstein.

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taz, die tageszeitung (DE) /

Eine Blamage für die EU

Brüssel sollte von London lernen, kommentiert Die Tageszeitung taz:

„Die europäische Zulassungsbehörde EMA ... muss sich fragen lassen, warum die Prüfung der klinischen Daten zu dem Impfstoff nicht schneller geht. ... [Die Politik] muss sich fragen lassen, warum es auf EU-Ebene nicht das Instrument einer Notfallzulassung eines Impfstoffs für besonders gefährdete Gruppen gibt ... . Bisher ist bekannt, dass der Impfstoff hoch wirksam ist und selbst bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen maximal milde Nebenwirkungen verursacht. ... Statt so zu tun, als seien die britischen Kollegen voreilige Schwachköpfe, sollte ... die EU dringend daraus lernen, wie Großbritannien es geschafft hat, mindestens einen Monat vor Kontinentaleuropa die verletzlichsten Menschen seines Landes vor dem Erstickungstod zu schützen.“

La Repubblica (IT) /

Geschwindigkeit ist nicht entscheidend

Der Wissenschaftsjournalist Luca Fraioli befürchtet in La Repubblica, dass es nun zu einem sinnlosen Wettlauf kommt:

„London zieht den Alleingang vor, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass es bis zum 31. Dezember formell immer noch Mitglied der Europäischen Union ist: Es hätte also den Ema-Bewertungsprozess abwarten müssen, bevor es den Impfstoff zulässt. Es ist zu befürchten, dass das grüne Licht jenseits des Ärmelkanal einen sinnlosen Hortungswettlauf anderer europäischer Nationen auslösen wird. Sinnlos, weil die Menge der Dosen, die jedem Land zur Verfügung stehen wird, nicht davon abhängt, wie schnell der Impfstoff zugelassen wird, sondern von den Vereinbarungen, die bilateral oder auf europäischer Ebene mit dem Hersteller getroffen werden.“

The Independent (GB) /

Dieses Eigenlob stinkt besonders

Dass die schnellere Zulassung dem Brexit zu verdanken sei, wie Gesundheitsminister Matt Hancock andeutete, ist schlicht unwahr, schimpft The Independent:

„Großbritannien ist nach wie vor vollständig an EU-Vorschriften gebunden und wird das [wegen der derzeit geltenden Übergangsphase] bis zum 1. Januar bleiben. Diese Vorschriften ermöglichen es jedem Mitgliedsland, die Zulassung für ein neues Arzneimittel oder eine neue Medizin zu erteilen, wenn eine Notsituation gegeben ist. Genau das hat Großbritannien getan. ... Aber wen interessiert das schon? Sicher nicht Matt Hancock, der, nachdem er sich für den Verbleib in der EU eingesetzt hatte, nun überhaupt kein Problem mehr darin sieht, den Brexit als Lieferanten eines von türkischen Einwanderern in Deutschland entwickelten Impfstoffs zu loben.“

El País (ES) /

Wir machen mal wieder alles falsch

El País verweist darauf, dass die frühe Zulassung durch London dem Großteil der Menschheit wenig bringt:

„Die britische Regierung wird nächste Woche mit der Impfkampagne beginnen – aber nur mit 800.000 Dosen, was nicht einmal einem Prozent der Bevölkerung entspricht. Wir brauchen 70 Prozent, um die Pandemie zu stoppen. ... Die drei schnellsten Firmen können bis Ende 2021 zusammen 5,3 Milliarden Dosen herstellen, genug, um ein Drittel der Weltbevölkerung zu immunisieren (man braucht ja zwei Dosen pro Person). ... Das ist eine gute Nachricht für die reiche Welt, aber nicht für die restlichen zwei Drittel: Die Europäische Union und fünf weitere Länder haben wie erwartet bereits die Hälfte der Medikamente reserviert, obwohl sie nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. ... Dabei fordert eine Pandemie per Definition eine Immunisierung des gesamten Planeten. Wir machen mal wieder alles falsch.“

Público (PT) /

Malaria-Gefährdete haben das Nachsehen

Portugal plant, ab dem 1. Januar seine ganze Bevölkerung gegen Corona zu impfen. Público freut sich über die jüngsten Erfolge bei der Covid-19-Bekämpfung, bedauert aber auch, dass deshalb die Malaria-Impfung zurückstecken musste:

„Die gute Nachricht ist: Portugal hat den Kauf von 22 Millionen Dosen Impfstoffen gegen Covid-19 gesichert, um die gesamte nationale Bevölkerung schrittweise in einem kostenlosen Impfplan zu impfen, der bis zum Sommer andauert. ... Die schlechte Nachricht: Für einen möglichen Malaria-Impfstoff, der 2020 die 64. Ausgabe der Pfizer Awards gewonnen hat, werden keine Marktzulassungsfristen genannt. Malaria ist keine globale Krankheit, aber laut der Weltgesundheitsorganisation wird sie in diesem Jahr mehr Todesfälle verursachen als Covid-19.“