Was ist von der neuen EZB-Strategie zu halten?

Die Europäische Zentralbank hat eine neue geldpolitische Strategie vorgestellt. Das Inflationsziel soll bei zwei Prozent liegen, kann künftig bei Bedarf jedoch nach oben und unten abweichen. Bisher galten zwei Prozent als Maximum. Im kommenden Jahr will die EZB zudem einen Aktionsplan zur Berücksichtigung des Klimaschutzes bei der Geldpolitik vorstellen.

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El Economista (ES) /

Endlich mehr Flexibilität

Auch ohne Pandemie war diese Anpassung längst fällig, erinnert El Economista:

„Die Notwendigkeit, die Ziele anzupassen, entstand nicht durch diese Krise. Es handelt sich vielmehr um eine seit Jahren anstehende Aufgabe. Das zeigt die Tatsache, dass das Institut die Vorgabe, die Inflation auf einem Wert nahe zwei Prozent, aber immer unterhalb dieser Grenze zu halten, seit 2013 nicht mehr erreicht hatte. ... Die neue Flexibilität ist in einem Moment wie diesem, in dem die Inflation steigt, besonders willkommen. Das neue Ziel ist eindeutig und erlaubt zeitweilige Abweichungen, womit die Fehler aus der vergangenen Krise vermieden werden können.“

Financial Times (GB) /

Jetzt entscheiden nicht mehr die Deutschen

Die neue geldpolitische Strategie der EZB fällt weniger radikal als erwartet aus, beobachtet Financial Times:

„Dies mag der Preis für Konsens sein. … Es könnte außerdem ein Beweis für das politische Geschick von Lagarde sein. Ihr Vorgänger Mario Draghi war gegenüber den Vertretern der angriffslustigen Mitgliedstaaten oft explizit provokant. ... Insgesamt stellt das Paket einen überfälligen Schritt der EZB auf dem Weg zu einer normalen Zentralbank statt einer 'Großen Bundesbank' dar. Die Änderungen der Ziele sind maßvoll und angemessen.“

Corriere del Ticino (CH) /

Langfristig unklug

Die Argumente für die Aufweichung des Inflationsziels kann Corriere del Ticino hingegen nicht nachvollziehen:

„Die EZB ist das Produkt einer europäischen Tradition, die Inflation sehr ungern toleriert, und dennoch hat sie die Schwelle allmählich angehoben und dabei offensichtlich den internen Widerstand der Deutschen Bundesbank und anderer nordeuropäischer Institutionen überwunden. … Für sie, wie auch für die [US-amerikanische] Fed und andere Zentralbanken, bedeutet eine niedrige Inflation, dass es nicht genug Wirtschaftswachstum gibt. … Doch Länder wie die Schweiz, Deutschland und andere nordeuropäische Länder haben gezeigt, wie ein sehr niedriges Inflationsniveau, das die Reallöhne besser schützt und mehr Sicherheit für Konsum und Investitionen bietet, mit einem guten Wirtschaftswachstum koexistieren kann.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Banker dürfen keine Politik machen

Die EZB will künftig auch den Klimaschutz bei der Geldpolitik berücksichtigen. Sie begibt sich damit in Gefahr, ihr Mandat zu überdehnen, warnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Eine unabhängige Zentralbank darf sich nicht anmaßen, Politik in Feldern zu betreiben, die zum Terrain gewählter Politiker gehören und für die gewählte Politiker Verantwortung tragen. ... Wie weit die EZB gehen will, um künftig andere Ziele als die Sicherung der Geldwertstabilität aktiv zu unterstützen, bleibt in der Beschreibung ihrer neuen Strategie unscharf.“