Roberta Metsola: Stark, aber nicht unumstritten

Nach dem Tod von David Sassoli ist die Malteserin Roberta Metsola zur neuen Präsidentin des Europäischen Parlaments gewählt worden: Für die 43-jährige Politikerin der konservativen EVP stimmten am Dienstag 458 Delegierte bei 616 abgegebenen Stimmen. Metsola gilt als Kämpferin gegen Korruption und Diskriminierung, aber auch als harte Abtreibungsgegnerin. Deswegen ist sie für Kommentatoren nicht ganz unumstritten.

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Salzburger Nachrichten (AT) /

Sie erkennt das Dilemma ihrer Institution

Die neue Präsidentin hat ein Kernproblem der EU treffend beschrieben, analysieren die Salzburger Nachrichten:

„In Metsolas erster Rede kam ein bemerkenswerter Satz vor: 'Wir müssen die Blase von Straßburg und Brüssel zum Platzen bringen.' Nur so könne man Europa den Menschen nahebringen. ... Das EU-Parlament hält sich sehr zugute, dass es ... nicht einfach Regierungsvorlagen abnickt. ... Dennoch wird das Parlament den Ruf nicht los, ein Papiertiger zu sein. Immer dann, wenn im Kampf um seine Rechte Selbst- und Machtbewusstsein gefragt wären, geben die großen Fraktionen dem Druck aus den Hauptstädten nach. ... Sollte es Metsola gelingen, damit zu brechen, wäre sie nicht nur die jüngste, sondern auch eine große Parlamentspräsidentin.“

Times of Malta (MT) /

Eine besondere und prinzipientreue Person

Roberta Metsola ist der Stolz des kleinsten EU-Mitgliedsstaates und eine würdevolle Vertreterin für Europa, freut sich Times of Malta:

„Als Brückenbauerin bekannt, war eines ihrer ersten offiziellen Dossiers im Europäischen Parlament eines, um Verhandlungen zur Beendigung von Diskriminierung und Homophobie voranzutreiben. ... Metsola war eine führende Stimme, die den Respekt für Rechtsstaatlichkeit betonte, gegen Korruption und für die Notwendigkeit einer Reform der Einwanderungsregelungen kämpfte, sich für Pressefreiheit einsetzte und dafür, europäische Entscheidungen einem größeren europäischen Publikum verständlich zu vermitteln. Im Dezember 2019 sorgte Metsola für Schlagzeilen, als sie sich weigerte, Joseph Muscat [Maltas Ex-Premier, dessen Regierung in den Mordfall Daphne Caruana Galizia verstrickt war] die Hand zu geben. “

La Repubblica (IT) /

Keine Fortschritte für Frauen zu erwarten

Kolumnistin Natalia Aspesi bleibt in La Repubblica skeptisch:

„Die Probleme der Europäischen Union sind enorm, und was die Rechte der Frauen betrifft, so kann die Konvention des Europarates über die Gewalt gegen Frauen nicht ratifiziert werden, weil es Staaten wie Bulgarien, Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei gibt, die sie ablehnen; und der Schwangerschaftsabbruch wird von Polen, Ungarn und Malta, wo Roberta Metsola geboren wurde, abgelehnt. Metsola hat ihre Position offengelegt, wenn auch ziemlich zweideutig: Sie werde sich bei diesem Thema der Stimme enthalten und sich den Entscheidungen des Parlaments anpassen. Das bedeutet allerdings, dass sie sich nicht dafür einsetzen wird, dass die EU endlich die Istanbul-Konvention ratifiziert.“

Le Monde (FR) /

Im Widerspruch zu aufgeklärter Politik

Die Wahl Metsolas kommt äußerst unpassend, kritisiert Le Monde:

„Vier Jahrzehnte nach Simone Veil [die in Frankreich die Legalisierung der Abtreibung erkämpft hat und erste EP-Präsidentin war] und in einer Zeit, in der die Frauen in Polen hartnäckig gegen die Maßnahmen der konservativen Regierung in Warschau kämpfen, die ihnen den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch verwehren, als Leiterin des Parlaments der 27 eine Frau zu wählen, die entschlossen zu ihrer Ablehnung des Rechts auf Abtreibung steht, steht in krassem Gegensatz zu den humanistischen und aufgeklärten Zielen der EU.“

La Croix (FR) /

Übertriebene Verteufelung

Dass die französischen Medien Metsolas Haltung zur Abtreibung in den Vordergrund stellen, stößt La Croix übel auf:

„Als ob ihre Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs einen Makel darstellt, der ihre gesamte Persönlichkeit verdüstert. Ganz gleich, dass sie präzisiert hat, dass dies eine persönliche Überzeugung ist. ... Wir streiten hier nicht ab, dass die Legalisierung der Abtreibung in Frankreich Frauen erlaubt, selbst zu entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft unter würdigen Bedingungen fortsetzen wollen oder nicht. Doch muss man deshalb die schmerzhafte und komplexe Seite einer Abtreibung leugnen? Meinen, dass dies die einzig mögliche Antwort ist? Diejenigen zensieren, die dagegen sind? Diese Haltung ist im Grunde das genaue Spiegelbild der Haltung der US-amerikanischen Abtreibungsgegner. ... Die gleiche Verteufelung.“