Russland setzt Offensive in Ostukraine fort

Der Kampf um die Ostukraine ist in vollem Gange: Das russische Militär beschoss am Mittwoch nach eigenen Angaben 1.053 ukrainische Militärstandorte. Die Ukraine meldete, die russischen Truppen in Slowjansk gestoppt zu haben. In Kramatorsk wurde mit Evakuierungen begonnen. Der ukrainische Präsident Selenskyj warnte die Bevölkerung vor Angriffen auf Wohngebiete. Kommentatoren verfolgen die Lage mit Besorgnis.

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Dagens Nyheter (SE) /

Putin verfolgt immer noch das gleiche Ziel

Dagens Nyheter stellt klar, dass die Ukraine jetzt noch mehr und vor allem andere Waffen benötigt:

„Solche sind bereits unterwegs. Die Vereinigten Staaten werden Haubitzen schicken und das ukrainische Militär im Umgang damit ausbilden. Washington erklärte am Mittwoch auch etwas rätselhaft, dass die Ukraine jetzt mehr Kampfjets habe als noch vor zwei Wochen. Es werden mehr benötigt. Putin mag seine Strategie geändert haben, aber er hat nie geleugnet, dass das übergeordnete Ziel und der Zweck des Krieges darin besteht, eine russische Interessensphäre wiederherzustellen. Es hat sich kaum verändert. Auch Plan B muss scheitern.“

Turun Sanomat (FI) /

Es geht ums Ganze

Der Ausgang des Krieges entscheidet über Russlands künftige geopolitische Ambitionen, glaubt Turun Sanomat:

„In der Ostukraine wird nun um die Grundlage für Friedensverhandlungen gerungen. ... Ohne Zugeständnisse wird Russland den Krieg kaum beenden. Auch wenn Gebietsabtretungen für die Ukraine nicht unmöglich sind, so sind sie politisch doch sehr schwierig, denn Russland werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. ... Außerdem sind die Stahl- und Kohleindustrie der Ostukraine sehr wichtig für die Wirtschaft des Landes. Das Schicksal der Ostukraine wird auch das europäische Sicherheitssystem bestimmen. Wie und zu welchem Preis Russland aus dem Krieg herauskommt, wird Auswirkungen auf Putins Großmachtträume und seine künftigen Ambitionen als Finnlands östlicher Nachbar haben.“

De Telegraaf (NL) /

Ob der Nachschub rechtzeitig ankommt?

Jetzt geht es ums Durchhaltevermögen, analysiert De Telegraaf:

„Fraglich ist, wie die Moral der Russen ist. Bisher zeichneten sie sich nicht durch Kampfeslust aus, und die Wehrpflichtigen waren nicht gerade gut trainiert und motiviert; zudem wurden von der Führung strategische Fehler gemacht. Die Russen müssen hoffen, dass sie die Ukrainer erschöpft haben. Eine weitere große Frage ist auch, ob die Ukraine bei länger andauernden Kämpfen noch über genug Munition und Waffen verfügt. ... Kyjiw hat zwar in viel größerem Maße vom Westen Hilfe in Form von schweren Waffen bekommen. Aber viele von diesen Waffen sind noch unterwegs, und die Frage ist, ob sie rechtzeitig ankommen. “

Rzeczpospolita (PL) /

Deportationen sind Teil des russischen Imperialismus

Rzeczpospolita geht auf die Berichte über Zwangsumsiedlungen von Ukrainern nach Russland ein:

„Unter dem Zarenregime wurden Menschen nach Russland deportiert, unter Lenin und Stalin wurden sie deportiert, und unter Putin werden sie erneut deportiert. Vielleicht wird die Welt, wenn sie sieht, was heute mit den Ukrainern geschieht, verstehen, was jedes polnische Kind über das Wesen des russischen Imperialismus und seiner Autokratie weiß. Das Bedauerliche ist jedoch, dass es nicht um unsere Vergangenheit geht, sondern um die Gegenwart, mit der unsere ukrainischen Brüder konfrontiert sind. ... Wir sollten der Welt umso deutlicher klarmachen, was heute in der Ukraine geschieht. Zumal Russlands Vorgehen in den besetzten Gebieten beängstigend methodisch wirkt.“

Profil (AT) /

Nicht auf falschen Frieden setzen

Einen Teil der Ukraine abzuschreiben, wäre der falsche Weg, warnt Profil:

„Ein weitverbreiteter Irrtum besteht in der Annahme, dass die Offensive der russischen Streitkräfte im Osten der Ukraine bedeuten könnte, dass Putin sich mit der Eroberung des Ostens des Landes zufriedengeben könnte, und dass dann, endlich, Frieden möglich sei. Was für ein Frieden wäre das? Denkt jemand an die Bevölkerung der Ostukraine, an die Leute in Mariupol zum Beispiel, die in Hinkunft unter dem Regime des Mannes leben müssten, der ihre Stadt bombardieren und ihre Nachbarn und Verwandten niedermetzeln ließ? Oder wird man 'ukrainische Ukrainer' von russischstämmigen Ukrainern trennen, und Erstere dürfen in den Westen der Ukraine übersiedeln? Ethnische Säuberungen in Europa im Jahr 2022?“

Sabah (TR) /

Moskau hat die Initiative verloren

Russland ist nicht mehr tonangebend im Krieg, schreibt die regierungsnahe Sabah:

„Das strategische Ziel in einem Krieg ist es, den Kampfwillen des Gegners zu zerstören. Russland dachte, das sei sehr leicht zu erreichen, aber das war es nicht. Es konnte Kyjiw nicht einmal belagern, geschweige denn erobern. Weit davon entfernt, Selenskyj zu Fall zu bringen, hat es ihn zu einem Helden gemacht. Seither können die Russen nicht mehr selbst entscheiden, wie dieser Krieg ausgehen wird. ... Ganz im Gegenteil arbeitet die Zeit wegen der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. Die Ukraine hingegen erhält von Tag zu Tag mehr Unterstützung. Daher ist es von nun an besser, auf das zu schauen, was der Westen und Selenskyj tun, als auf das, was Russland tut. Die Russen haben einen Krieg begonnen, aber die Initiative verloren.“

e-vestnik (BG) /

Putin hat nichts zu gewinnen

Russland sollte aus der Geschichte lernen und einsehen, dass es sich so schnell wie möglich zurückziehen sollte, rät e-vestnik:

„Selbst wenn Putin Kyjiw einnehmen würde, hätte er nichts gewonnen. Er kann Selenskyj nicht töten oder verhaften lassen, denn er muss eines Tages einen Friedensvertrag mit jemandem unterzeichnen. ... Es ist unmöglich, ein riesiges Land wie die Ukraine dauerhaft zu besetzen. ... Putin muss verstehen, dass es für ihn besser ist, den Krieg so früh wie möglich zu beenden. Es gibt bereits historische Beispiele: Afghanistan (mit Beteiligung sowjetischer Truppen [ab 1979]) und Vietnam (mit Waffenhilfe für die Vietnamesen). Es waren keine erfolgreichen Kriege für den Aggressor und sie haben Russland geschadet - wirtschaftlich, außenpolitisch, innenpolitisch und gesellschaftlich.“

Der Standard (AT) /

Brüssel braucht eine Doppelstrategie

Neben Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen müssen auch die diplomatischen Kanäle offengehalten werden, erinnert Der Standard:

„Das Szenario heute: Putin wird den Krieg weder gewinnen noch verlieren. Es bleibt ein eingefrorener Konflikt, als Ausweg die Rückkehr zur Diplomatie. Von einem 'Kalten Frieden' spricht der frühere SPD-Außenminister Sigmar Gabriel: Auf Dauer könnten Panzer und Raketen Außenpolitik und Diplomatie nicht ersetzen. Die EU muss Moskau daher eine klare Botschaft zukommen lassen: Wir legen bei Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen kräftig nach, sind aber auch bereit zum Gespräch über politische Lösungen. Vorbedingung ist ein Waffenstillstand. Die EU braucht eine realistische Doppelstrategie.“

Delfi (LT) /

Taktische Fehler

Für Delfi gibt es genug Beweise der Schwäche der russischen Armee und Gründe zu spotten:

„Womit hattet ihr vor, gegen die Nato zu kämpfen, wenn ihr sogar die Fernfliegerkräfte [Bestandteil der russischen Luftstreitkräfte] gegen eine Gruppe tapferer, aber erschöpfter Ukrainer, die fast ohne Lebensmittel, Wasser und Munition schon die achte Woche Widerstand leisten, einsetzen müsst? Die Bomber Tu-22M3 der Fernfliegerkräfte in den Einsatz gegen Azov zu bringen, war der zweite große taktische Fehler und ein noch größerer psychologischer Sieg der Ukraine gegen den Aggressor Russland in einer Woche. Vielleicht auch der dritte, weil der Generalstab Russlands mit seinen kindischen Lügen über das Versenken der Moskva die Russen dazu zwingt, die Scham noch einmal und noch einmal zu erleben.“