Krim-Explosionen: Wie wird Russland reagieren?

Nach den erneuten Explosionen auf der seit 2014 von Russland besetzten Krim wird weiter über die Ursache gerätselt. Russland spricht von "Sabotage" und will dem Verdacht von Drohnenangriffen auf das Munitionslager nachgehen. Kommentatoren fragen sich, was der unter Druck stehende russische Präsident Putin jetzt tun wird.

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Telegram.hr (HR) /

Halbinsel hat zentrale Bedeutung

Russland wird die besetzte Krim mit Vehemenz verteidigen, betont Telegram.hr:

„Die geopolitische und militärische Bedeutung der Krim übersteigt die Bedeutung der bisherigen besetzten Gebiete bei Weitem. So hat ein zerstörtes Flugzeug auf der Krim eine weit höhere Bedeutung, als wenn der gleiche Typ Flugzeug im Donbas abgeschossen würde. Deshalb muss man bedenken, dass die Russen nicht nur die Halbinsel, sondern auch die operative Basis, aus der die Krim angegriffen werden würde, als Priorität der Verteidigung sehen würden. Währenddessen wird die russische Propaganda weiter Märchen über nichtexistente Saboteure oder zufällig fallengelassene Kippen erzählen, die zu ungewollten Explosionen tief im Inneren führen, außerhalb der Reichweite der bisher bekannten ukrainischen Projektile.“

Le Monde (FR) /

Putin steht unter gewaltigem Druck

Der russische Präsident wird zu einer Reaktion gezwungen, so Le Monde:

„Indem Selenskyj am 9. August erklärte, dass 'der Krieg in der Ukraine mit der Krim begonnen hat und mit ihrer Befreiung enden muss', zeigte er, dass er weniger denn je an Verhandlungen denkt, da er dabei ist, im laufenden Zermürbungskrieg neue Karten aufzudecken. Wladimir Putin steht unter Druck und wird erneut die Widerstandsfähigkeit Kyjiws einkalkulieren müssen. ... Weil er gefangen ist in einer Haltung, die die Krim zur roten Linie gemacht hat, wird er keine andere Wahl haben, als noch einen draufzusetzen, wenn die der Ukraine zugeschriebenen Angriffe auf die Halbinsel weitergehen.“

France Inter (FR) /

Beweis für Zermürbung des russischen Militärs

France Inter ist überzeugt, dass die Ukraine hinter den Angriffen steckt und bemerkt:

„Um die Relevanz dieses Umstands zu verstehen, hilft ein Blick auf die Karte: Jeder beliebige Punkt auf der Krim ist mehr als 250 Kilometer von der ukrainischen Verteidigungslinie entfernt. Um sie zu erreichen, braucht man hochentwickelte Waffen und Menschen, die den Zielen so nahe wie möglich kommen. Es bedarf präziser Langstreckenraketen, die die USA allerdings nicht liefern wollten, oder Drohnen, die von Teams am Boden gesteuert werden, oder sogar Kommandos aus eingeschleusten ukrainischen 'Partisanen'. In jedem Fall ist die Zerstörung eines Luftwaffenstützpunktes am 9. August und mehrerer Munitionslager gestern [Dienstag] eine Demütigung für Wladimir Putin und vor allem ein Beweis für die Zermürbung der russischen Kräfte.“

Krym.Realii (UA) /

Auch der Geheimdienst ist schwach

Dass der russische Geheimdienst FSB die jüngsten Schläge auf die Krim nicht hat verhindern können, wirft kein gutes Licht auf dessen Professionalität, meint der Kolumnist Witali Portnikow auf Krym.Realii:

„Die Schläge auf militärische Objekte in der besetzten Krim sind nicht nur ein Schlag gegen Waffenarsenale. Ich bin mir sicher, dass dies auch das Ende der 'sakralen' Krim ist, deren Mythos von der russischen Propaganda und persönlich von Wladimir Putin seit den ersten Tagen der Annexion der Halbinsel gepflegt wird. … Nach den Ereignissen einiger Tage in diesem Sommer auf der Krim scheint es ganz so, dass der FSB nun, was Effizienz und Fähigkeit auf echte Herausforderungen zu reagieren, mit der russischen Armee in Konkurrenz treten kann.“

Corriere della Sera (IT) /

Damit hat Putin nicht gerechnet

Corriere della Sera stellt eine unerwartete Wendung fest:

„Gestern bedrohte eine Reihe von schweren Explosionen erneut russische Einrichtungen in einer Region, die bis vor kurzem noch als absolut sicher galt. Es ist gut möglich, dass in Moskau deshalb weitere Generäle entlassen werden. Doch der Konflikt nimmt eine unerwartete Wendung, die die Annahme gestattet, dass Wladimir Putin, wenn er vor sechs Monaten gewusst hätte, dass sich seine Männer in einem komplizierten Stellungskrieg verstricken würden, der sogar seine schnelle militarische Besetzung der Krim vor acht Jahren gefährden könnte, am 24. Februar wahrscheinlich niemals den Befehl zum Angriff auf Kyjiw gegeben hätte.“

Gordonua.com (UA) /

Ungewöhnlich hilflose Reaktion

Der oppositionelle russische Publizist Alexandr Newsorow wundert sich auf Gordonua.com, dass Russland auf den Schlag bislang nicht militärisch reagiert hat:

„Die einzige Überraschung war, dass Russland zum ersten Mal mit einem traurigen Schwanzeinziehen reagierte. Es reagierte nicht wie üblich mit heldenhaften Jagdangriffen auf Kliniken oder Raketen auf Kindergärten. Stattdessen brummelte es etwas Hilfloses über Sicherheitsmaßnahmen. Das Putinsche Kriegsungeheuer scheint entweder tödlich verwundet oder ziemlich verängstigt zu sein.“

The Spectator (GB) /

Ukrainer kämpfen effektiver

In diesem Krieg gibt es Faktoren, die wichtiger sind als militärische Stärke, betont der Historiker und Russlandexperte Mark Galeotti in The Spectator:

„Die Anschläge auf der Krim zeigen, wie viel schneller und effektiver sich die Ukrainer an die Gegebenheiten anpassen als ihr Feind. Sie nutzen die große Menge westlicher Militärhilfe und setzen diese auf eine Art und Weise ein, die ihre eigenen Stärken maximiert und die der Russen untergräbt. Dabei geht es nicht nur um die schiere Zahl von Soldaten oder wie viel bombardiert wird, auch nicht um militärische Taktik oder Kriegskunst. In diesem Krieg geht es um Einfallsreichtum und Anpassungsfähigkeit - und dabei haben die Ukrainer wieder einmal ihre Stärke bewiesen.“

Club Z (BG) /

Russland verliert die Initiative

Die Botschaft an den Kreml, die hinter den Explosionen auf der Krim steckt, ist laut Club Z eindeutig:

„Selbst wenn ihr den Krieg gewinnt, verliert ihr den Frieden. Die Besetzung kann Russland mehr kosten als der Krieg selbst, wie damals für die Amerikaner im Irak und für die Sowjetunion in Afghanistan. Diese Explosionen sind ein Zeichen dafür, dass Russland allmählich die strategische Initiative im Krieg verliert. Diese ist jetzt, mit Hilfe der Nato-Expertise und -Rüstung, in ukrainischer Hand. Kyjiw ist auf auf dem Weg, dem Kreml mit Präzisionsraketen, Drohnen und Sabotage das Schachmatt zu erklären, während Russland auf operativ-taktischer Ebene weiter mit Methoden aus dem Zweiten Weltkrieg operiert.“

Spotmedia (RO) /

Schwachstellen entdeckt

Auch wenn Kyjiw bislang nicht bestätigt, für die Explosionen verantwortlich zu sein, geht Spotmedia von einem ukrainischen Anschlag aus:

„Die ukrainischen Generäle haben entdeckt, wie wirksam die Zerstörung der Transportinfrastruktur, der Munitionslager und der Geräte hinter der Front ist. Solche Schläge blockieren die Initiative des Feindes, dem dann die Ressourcen für einen Angriffsplan fehlen. Jede Offensive verlangsamt und die Moral der gegnerischen Armee leidet stark. Dass die ukrainischen Kräfte jetzt auf dem Gebiet der Krim operieren, zeigt eine große Schwäche Russlands: Dieses Gebiet, das als Startrampe für Moskaus Truppen in Richtung Südukraine und wichtigstes Gebiet für die Erholung und den Nachschub von Truppen diente, hielt Russland für sicher.“

La Stampa (IT) /

Weitere Eskalation droht

Selenskyjs Ankündigung der Heimholung der verlorenen Halbinsel kann schwere Folgen haben, befürchtet Kolumnist Domenico Quirico in La Stampa:

„Vielleicht können Putin und die Russen - ich meine die Russen, die die [sogenannte] Sonderoperation aus alter imperialistischer Überzeugung oder um Ärger zu vermeiden, unterstützen - akzeptieren, dass sie angesichts einer großen ukrainischen Gegenoffensive, die von den USA und Großbritannien - vielleicht nicht nur mit Waffen - vorangetrieben wird, Teile des Donbas aufgeben müssen. ... Aber die Krim ist etwas anderes. ... Für Russland bedeutet eine Invasion der Krim einen direkten Angriff auf seine territoriale Integrität, das Äquivalent eines Marsches auf Moskau, ein Beweis für den Willen zur Vernichtung der russischen Einheit, die Putin seit zwanzig Jahren mit effektivem innenpolitischem Erfolg aufbaut.“