Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger?

In mehreren Staaten Europas wird derzeit über das Wahlrecht debattiert: In Österreich steht die Frage im Raum, Einwohnern ohne Staatsbürgerschaft die Möglichkeit zu geben, bei der Präsidentenwahl im Oktober mitzuentscheiden. Frankreichs Nationalversammlung diskutiert einen Vorschlag, Nicht-EU-Bürgern das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu geben. In Estland könnte das Wahlrecht derweil eingeschränkt werden.

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Der Standard (AT) /

Mitbestimmen, wer über einen bestimmt

Der Standard findet, das österreichische Wahlrecht benötigt eine Grundüberholung:

„Immer mehr Menschen bleibt hierzulande ... ein essenzielles politisches Grundrecht verwehrt. Wer unbedingt wählen will, kann ja die Staatsbürgerschaft annehmen, wird Betroffenen meist gesagt. Das ist zynisch: Das hiesige Staatsbürgerschaftsrecht ist eines der restriktivsten und unbeweglichsten. Menschen aber sind mobiler geworden, die Gesellschaft diverser. ... Lebt jemand für längere Zeit hier, dann soll diese Person auch mitbestimmen können, wer über sie bestimmt - auf allen politischen Ebenen.“

Heute (AT) /

So leicht darf das Wahlrecht nicht zu haben sein

Clemens Oistric, Online-Chef der Tageszeitung Heute, sieht keinen Änderungsbedarf:

„Das Wahlrecht und unsere Staatsbürgerschaft sind zu wertvoll, um sie an alle zu verschenken, die zum Meldeamt gefunden haben. Zu Recht sind klare Bedingungen an den Erwerb des rot-weiß-roten Passes geknüpft. Dazu gehören beispielsweise strafrechtliche Unbescholtenheit, ausreichende Deutschkenntnisse, ein gesicherter Lebensunterhalt und kein Naheverhältnis zu extremistischen oder terroristischen Gruppierungen. ... Auch steht Österreich hier mit seinem klaren Zugang nicht alleine da. Neuseeland, Kanada, die USA, die Schweiz - allesamt gefestigte Demokratien mit durchwegs restriktiven Bestimmungen.“

L'Opinion (FR) /

Unausgegorener Vorschlag

Sacha Houlié von Macrons Renaissance-Partei hat einen Gesetzentwurf für die Einführung des Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger bei Kommunalwahlen in die französische Nationalversammlung eingebracht. L'Opinion wundert sich:

„Nach Ansicht von Sacha Houlié kann das Wahlrecht für Ausländer Frankreichs 'Integrationsmodell bereichern'. Dafür kann man plädieren, dann muss man aber auch sicherstellen, dass keine nationalen Listen entstehen, wie es bereits bei den letzten Europa- und Kommunalwahlen mit konfessionellen Listen geschah. Zudem will er 'einer Diskriminierung zwischen zwei Kategorien von Ausländern' ein Ende setzen: EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern. ... Seltsam, dass das Mitglied einer klar pro-europäischen Partei diese Unterscheidung ohne vorherige Debatte abschaffen will.“

Postimees (EE) /

Die Zeiten haben sich geändert

Estland hingegen diskutiert darüber, das Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger bei Lokalwahlen abzuschaffen. Staatsrechtlerin Paloma Krõõt Tupay erörtert in Postimees die Bedingungen:

„Seinerzeit haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes das Wahlrecht für Ausländer beschlossen. Die Lage hat sich geändert, die Anzahl der Bewohner Estlands mit dem russischen Pass oder der Staatenlosigkeit hat sich deutlich vermindert. Die Rechte und Freiheiten, die das Grundgesetz dem Einzelnen gibt, darf man nicht enger deuten, als es das Grundgesetz selbst vorsieht. ... Daher würde diese Änderung im estnischen Recht eine Grundgesetzänderung verlangen. Dies ist nicht verboten und schlecht, sondern einfach nur kompliziert.“