Was bedeuten die Proteste in Prag?

Am Samstag versammelten sich nach Polizeiangaben rund 70.000 Menschen auf dem zentralen Wenzelsplatz in Prag, um gegen Inflation, Corona-Impfungen und die Aufnahme von Migranten zu demonstrieren. Die Demonstranten warfen der Regierung vor, sich um die Ukraine mehr zu sorgen als um die eigene Bevölkerung und forderten den Rücktritt der Mitte-Rechts-Regierung von Premierminister Petr Fiala.

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Hospodářské noviny (CZ) /

Sie treibt Überlebensangst

Hospodářské noviny analysiert die Motivation der Demonstrationsteilnehmer:

„Es ist zu bezweifeln, dass sich auf dem Wenzelsplatz 70.000 fanatische Putin-Anhänger versammelt haben, um den großrussischen Imperialismus in der Ukraine zu unterstützen. ... Die meisten dort hatten Angst. Angst, dass sie ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können, dass sie nicht über die Runden kommen, dass sie im Winter frieren werden. Angst, dass die Regierung sie im Stich lässt. Daran ist nichts Irrationales. Bisher hat sich die Regierung in der Praxis nicht so verhalten, um den bedrohten Teil der Gesellschaft davon zu überzeugen, dass er nicht fallen gelassen wird, wie es Regierungschef Petr Fiala hochtrabend formuliert.“

Lidové noviny (CZ) /

Weckruf für die Regierungsparteien

Die liberal-konservative Regierung in Prag muss sich über die Größe des Protestes nicht wundern, heißt es in Lidové noviny:

„Die Regierung tut in den Augen der meisten Menschen nichts. Im Gegensatz zu ihren populistischen Vorgängern und den linken oder rechten Regierungen aller umliegenden Länder. Und die außerordentlichen zehn Milliarden [Kronen, ca. 408 Mio. Euro], die sie in diesem Jahr als Hilfe für die Haushalte ausgeben will, erscheinen solchen Leuten als Hohn im Vergleich zu den deutlich höheren Hilfen für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Ja, dieser Vergleich ist nachweislich demagogisch, und diese Zahlen lassen sich nicht aus der Logik der Dinge vergleichen. Aber in der Politik arbeitet man nie mit reiner Logik und strenger Rationalität.“

Adevărul (RO) /

Ein gefährlicher Funke

Adevărul ist besorgt:

„Was, wenn sich die Proteste auf andere große europäische Staaten ausweiten werden? ... Die freie Welt ist in einer kritischen Lage. Sicher, es ist nicht gut, Russlands Gefangener in Bezug auf die Energieversorgung zu sein. Doch die Abkopplung von Gas und Öl kann man nicht so leicht umsetzen. Und es braucht Zeit, doch der Winter klopft an die Tür. Wann wird die Kälte einsetzen und wie stark wird sie sein? Niemand kann das vorhersagen.“

Jutarnji list (HR) /

Das ist erst der Anfang

Die Proteste in Prag könnten Hinweis auf einen heißen Herbst sein, meint auch Jutarnji list:

„Man kann daraus schließen, dass in Prag eine Reihe von Protesten begonnen hat, die den europäischen Herbst und wahrscheinlich auch Winter prägen werden. ... Die größte französische Gewerkschaft CGT setzte einen großen Streik für den 29. September an, auch spanische Gewerkschaften kündigten große Proteste für diesen Monat an. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte Ende August vor der Bedrohung durch neue Radikalisierung. ... Die EU muss in einer weiteren ernsten Krise beweisen, dass sie fähig ist, ihre Bürger und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schützen.“