EU-Gipfel beschließt gemeinsamen Gaseinkauf

Im Streit über die richtigen Maßnahmen gegen die hohen Energiekosten haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten einen Kompromiss gefunden, der allerdings noch konkretisiert werden muss. Die EU-Staaten sollen teilweise verpflichtend gemeinsam Gas einkaufen, für die Preise soll vorübergehend ein "dynamischer Preiskorridor" gelten. Kommentatoren sehen noch viel Klärungsbedarf.

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La Repubblica (IT) /

Völlig unklar, ob und wie das funktioniert

Die Ökonomen Tito Boeri und Roberto Perotti sind in La Repubblica skeptisch:

„Wie beim Tangotanzen gehören auch zu einer Preisobergrenze zwei. Russland aber hatte bereits am 12. Oktober angedroht, die Lieferungen an jedes Land zu unterbrechen, das versuchen würde, eine Preisobergrenze einzuführen. ... Zudem haben Deutschland und die Niederlande sich dagegen gewehrt. … Mit seiner Lösung versucht der Rat, sie nun zufrieden zu stellen: Der Deckel muss der Marktentwicklung Rechnung tragen, indem er den Mindest- und insbesondere den Höchstpreis anpasst. Kurz gesagt, es muss eine dynamische Preisobergrenze sein. Es ist nicht bekannt, von wem und wie diese Anpassungen vorgenommen werden sollen, und die Kommission selbst hat keine klaren Vorstellungen bezüglich des Vorgehens.“

De Volkskrant (NL) /

Den Rest regelt der Markt

Einen Preisdeckel hält De Volkskrant für überflüssig:

„Es ist gut, dass die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen haben, gemeinsam Gas einzukaufen, um zu verhindern, dass sie sich in Zukunft wieder gegenseitig überbieten. Das ist das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen Ende vergangener Woche. ... Ein Höchstpreis muss nicht sein, solange Länder wie Deutschland und die Niederlande versprechen, dass sie nie wieder endlos für Verluste einstehen. Diese Garantie muss an ein Maximum gekoppelt sein. Dann wird der Markt das Problem der extrem hohen Preise im Prinzip selbst lösen.“

Népszava (HU) /

Wem nützt Orbáns Alleingang?

Der ungarische Premier Viktor Orbán rühmt sich damit, für sein Land Ausnahmen durchgeboxt zu haben. Népszava überzeugt das nicht:

„Preisgestaltung ist kompliziert. Leichter zu beantworten ist jedoch die Frage, ob der ungarische Regierungschef Recht hatte, als er sagte, er habe wieder erfolgreich verhandelt, indem er 'erkämpft' habe, dass die EU-Einigung Ungarns langfristiges Abkommen mit Gazprom nicht betrifft. Warum sollte das gut sein? Weil es so weiterhin geheim gehalten werden kann, zu welchem Preis wir russisches Gas gekauft haben? Oder weil wir so den Russen ermöglichen, ihre Aggression mit ungarischen Geldern zu finanzieren? Wer profitiert davon, wenn wir das Gas zu einem höheren Preis kaufen als der Rest Europas?“

Hospodářské noviny (CZ) /

Berlin protegiert eigene Wirtschaft

Hospodářské noviny kritisiert vor allem die deutsche Haltung in der Energiepreis-Frage:

„Das von der Bundesregierung beschlossene 200-Milliarden-Hilfspaket ist ein Schlag gegen den gemeinsamen Fortschritt. Der dortige Wirtschaftsminister Robert Habeck kann die Worte von der europäischen Solidarität hundertmal wiederholen. Aber die staatlichen Hilfen für die deutsche Wirtschaft sind so umfangreich und für die meisten anderen Länder finanziell nicht wiederholbar, dass sie weitreichende negative Auswirkungen auf die nichtdeutsche Industrie in Europa haben werden. Wie sieht also die Realität aus, wenn wir die beruhigenden diplomatischen Worte beiseite lassen? Ziemlich miserabel.“

Efimerida ton Syntakton (GR) /

Brüsseler Ignoranz

Efimerida ton Syntakton kritisiert die EU-Kommission:

„Die elementare Mehrheitsregel in einer Demokratie mit 27 Ländern würde von der Europäischen Kommission verlangen, dass sie berücksichtigt, dass mindestens 15 Länder eine allgemeine Obergrenze für den Gaspreis unterstützen. Oder alternativ, die Entkopplung dieses Preises von den Stromgroßhandelspreisen. Dies wird als 'iberisches Modell' bezeichnet, das in den wenigen Monaten seiner Umsetzung zu deutlich niedrigeren Strompreisen in Spanien und Portugal geführt hat. All diese Bemühungen und öffentlichen Vorschläge werden von der Europäischen Kommission in auffälliger Weise ignoriert. “

De Standaard (BE) /

Notbremse vielleicht nicht nötig

Die aktuell wieder tieferen Gaspreise stimmen De Standaard vorsichtig optimistisch:

„Es sind hoffungsvolle Zeichen, die einen europäischen Korrektur-Mechanismus vielleicht etwas weniger dringend machen. Das scheint auch der Ton des Vorschlages der Kommission von dieser Woche zu sein, bei dem ein 'dynamischer Korrektur-Mechanismus' nur als äußerste Notmaßnahme vorgestellt wurde. Die Hoffnung, dass die Notbremse nie eingesetzt werden muss, wurde zwar nicht ausgesprochen. Aber ein Szenario, bei dem der Markt sich so weit beruhigt, dass staatliche Eingriffe weniger notwendig sind, scheint nicht mehr völlig undenkbar.“

tagesschau.de (DE) /

Immerhin ein symbolischer Schritt

15 Prozent gemeinsamer Einkauf werden kaum ausreichen, meint tagesschau.de:

„Der vermeintliche Einkaufsriese EU verzwergt sich auf diese Weise. Gut für die Gasanbieter, schlecht für die Gaskonsumenten. Denn am hohen Preis wird das vermutlich wenig ändern. Immerhin: Es wäre dennoch ein symbolischer Schritt, weil Europa damit zumindest den Versuch unternähme, in dieser beispiellosen Energiekrise doch wenigstens ein bisschen an einem Strang zu ziehen. Davon kann bisher nämlich keine Rede sein. Im Gegenteil: Jeder einzelne Mitgliedsstaat hat mehr oder weniger erfolgreich versucht, für sich am meisten rauszuholen. Und ausgerechnet Deutschland ist da mit einigermaßen schlechtem Beispiel vorangegangen.“

Lidové noviny (CZ) /

Einigkeit sieht anders aus

Die Vorschläge der EU-Kommission zur Bändigung der Gaspreise sind für Lidové noviny noch nicht das Gelbe vom Ei:

„Die Union ist in dieser Frage existenzbedrohend gespalten. Manche Länder möchten die Gaspreise begrenzen, andere wollen nicht zu sehr in den Marktmechanismus eingreifen. Erstere behaupten, dass die aktuellen Gaspreise für Unternehmen und Haushalte unerträglich sind, letztere befürchten, dass sie aufhören werden, Gas zu sparen, wenn hohe Preise sie nicht dazu zwingen. ... Reiche Länder haben einen Vorteil, ihre Unternehmen überholen die Konkurrenz aus ärmeren EU-Ländern. In Zeiten von Covid war dies in der Union verboten. Eben damit nicht einzelne Länder bei der staatlichen Förderung ihrer Unternehmen miteinander konkurrieren.“