Frankreichs Einwanderungsgesetz: Bruch mit Folgen?

Frankreichs Nationalversammlung hat ein Gesetz zur Verschärfung des Einwanderungsrechts verabschiedet. Um die nötige Mehrheit zu bekommen, hatte die Regierung erhebliche Zugeständnisse an Forderungen konservativer Abgeordneter gemacht. Das spaltete das Regierungslager, das zum Teil die Zustimmung verweigerte. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau trat aus Protest zurück. Europas Presse ist voller Sorge.

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Corriere della Sera (IT) /

Ende eines Mythos

Frankreich wird sich selbst untreu, klagt Corriere della Sera:

„ Die Abschaffung des ius soli in Frankreich ist das Ende einer Welt. Einer Welt, die nicht von der Linken, sondern von der republikanischen Rechten aufgebaut wurde. Für General De Gaulle konnte jeder Franzose werden, der sich in einem Wertesystem wiederfand. ... Es ist zugleich der Verzicht auf eine bestimmte Vorstellung von Frankreich: Land des Asyls, Heimat der Menschenrechte, erstgeborene Tochter sowohl der katholischen Kirche als auch der Göttin der Vernunft. ... Vielleicht nur ein Mythos. ... Aber die Geschichte der Nationen besteht auch aus Mythen.“

Le Soir (BE) /

Politisch aus den Fugen geraten

Voller Sorge kommentiert Le Soir:

„Das Ende des automatischen Geburtsortprinzips, die Einschränkung des Familiennachzugs, eine Karenzzeit für die Beziehung von Sozialleistungen für reguläre Ausländer: Es ist eine spektakuläre Wende, die Frankreich, das bisher als Land des Universalismus galt, vollzieht. ... Das Land befindet sich in einer beunruhigenden Phase der Unsicherheit. Es entsteht der Eindruck, dass nichts mehr unter Kontrolle ist. Der RN-Vorsitzende Jordan Bardella als Premier im Falle einer Parlamentsauflösung? ... Das wäre ein Albtraum, entspräche jedoch der demokratischen Logik, würde die extreme Rechte diese Wahl gewinnen.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Macron wird zum Türöffner der Rechten

Der Frankreich-Korrespondent der taz, Rudolf Balmer, sieht einen ideologischen Dammbruch:

„De facto ergab sich da eine politische Einigung, die von Macrons Mitte über die bürgerliche Rechte bis zu den Lepenisten reicht. ... Dass Macron dies zuließ, oder gar hinter den Kulissen so eingefädelt hat, ist Ausdruck eines grenzen- und prinzipienlosen Opportunismus. Er war 2017 und 2022 (mit vielen Stimmen von links) gewählt und wiedergewählt worden, weil er versicherte, die extreme Rechte bekämpfen und an der Machtergreifung hindern zu wollen. Nun ist er es, der ihr die Tür öffnet.“

La Croix (FR) /

Eine Kollektivstrafe

Jurist Darko Adamovic ärgert sich in La Croix:

„Unser wunderschönes Land Frankreich, dessen universelle Werte und Weltoffenheit seine Stärke ausmachen, scheint sich dem Lager der konservativen Länder anzuschließen. Der Text, der mit Hilfe der Stimmen der Rechten und der extremen Rechten verabschiedet wurde, bestraft Menschen, die bereits verletzlich sind, unser Wirtschaftssystem stützen und zur weltweiten Strahlkraft Frankreichs beitragen. ... Eine Kollektivstrafe also, die auf der Verbreitung irrationaler Ängste und ungefilterter, falscher oder echter Informationen basiert, die nie geprüft oder erklärt wurden.“

The Guardian (GB) /

Fast so extrem wie London

Mit dem verschärften Zuwanderungsgesetz schadet Macron vor allem sich selbst, so The Guardian:

„Am Dienstagabend verwandelte eine Reihe von aus dem Mitte-Rechts-Lager kommenden Änderungsanträge ein lang verzögertes und relativ harmloses Einwanderungsgesetz der Regierung in eine lange Liste voller rechter Slogans. Die meisten dieser Änderungsanträge sind eher verstörend und sinnlos als boshaft. Sie sind in der Praxis kaum umsetzbare Gesten, die die harte Rechte ansprechen sollen - ähnlich, aber nicht so extrem wie der britische Ruanda-Plan.“