Ukraine-Krieg: Was bedeutet Trumps Kehrtwende?

US-Präsident Donald Trump hält es für möglich, dass die Ukraine ihre von Russland besetzten Gebiete zurückerobert. Mit Unterstützung Europas und der Nato seien die ursprünglichen Grenzen zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns eine Option, schrieb er auf Truth Social. Bisher hatte Trump auch Gebietsabtretungen zur Beendigung des Krieges ins Spiel gebracht. Kommentatoren debattieren Motive und mögliche Folgen.

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Der Tagesspiegel (DE) /

EU und Nato sollen es richten

Der Tagesspiegel bleibt vorsichtig und empfiehlt eine genaue Lektüre:

„Trump sagt nicht etwa, dass die US-Regierung bei einer Rückeroberung russisch besetzten Gebietes aktiv helfen wird. Sondern er hält es für eine 'Option', dass die Ukraine 'mit Unterstützung Europas und der Nato' dieses Ziel erreicht. Die USA würden weiterhin Waffen liefern, aber 'an die Nato, damit die Nato damit machen kann, was sie will'. Trump legt sein Land weder politisch noch militärisch auf irgendetwas fest. Er meint sein Engagement lediglich in dem Sinne ernst, dass er Putin glauben machen möchte, dass er es ernst meint. Die Verantwortung für ein Gelingen legt er in die Hände von Nato und EU. Mit anderen Worten: Trump laviert weiter herum.“

La Repubblica (IT) /

Karten vorerst neu gemischt

La Repubblica bleibt skeptisch:

„Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Donald Trump seine Haltung gegenüber der Ukraine geändert hat. In Trumps Sichtweise haben sich die Rollen vertauscht. Monatelang hatte der amerikanische Präsident behauptet, dass die Ukraine nicht 'die Karten in der Hand' habe und es daher für sie sinnvoll sei, einen territorialen Kompromiss mit einem relativ gesehen viel stärkeren Russland anzustreben. Heute (aber wir werden sehen, wie lange das anhält) schreibt er, dass Russland ein 'großes wirtschaftliches Problem' habe und dass Kyjiw dank seiner außergewöhnlichen Moral in der Lage sein könnte, Boden gut zu machen.“

Delfi (LT) /

Nebulöse Versprechen

Viele Fragen bleiben offen, erklärt der Politologe Linas Kojala in Delfi:

„Das US-Versprechen, weiter Waffen – genauer gesagt über die NATO – zu liefern, signalisiert zwar Kontinuität und Zusammenarbeit mit den Verbündeten. Doch es fehlt an Details, welche Systeme in welchen Mengen die Ukraine tatsächlich erhält. Einige Waffensysteme fehlen den Amerikanern selbst, sodass die Lieferströme ins Stocken geraten könnten. ... Deutlicher formuliert wird hingegen die europäische Verantwortung. Der Appell des US-Präsidenten, die Energieverbindungen zu Russland zu kappen, ist positiv, doch entscheidend wäre, dass Trump mit seinem Freund Viktor Orbán spricht. Ungarn gehört zu den wichtigsten Käufern russischer Rohstoffe in der EU. Würde Budapest sich auch nur teilweise umorientieren, wäre die Wirkung spürbar.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Möge der Stärkere gewinnen

Radio Kommersant FM sieht Trumps Aussagen als Rückzieher von seinen bisherigen Friedensbemühungen:

„Die wichtigste Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die Friedensverhandlungen sind offiziell gescheitert, auf der Tagesordnung bleibt ausschließlich ein militärisches Szenario, genauer gesagt, eine neue Etappe der Eskalation. ... Der Chef des Weißen Hauses ist allerdings nach wie vor konstruktiv eingestellt, er nimmt keine pro-ukrainische Position ein, sondern distanziert sich einfach von den aktuellen Ereignissen und tritt zur Seite: Wenn Europa will und kann, soll es kämpfen, während sich die USA um ihre internen Probleme kümmern. Mit anderen Worten: Möge der Stärkere gewinnen.“

La Libre Belgique (BE) /

Krasser Kontrast zu Putin

Die Unbeständigkeit des US-Präsidenten findet La Libre Belgique unerträglich:

„Diese Haltungsrotationen veranschaulichen deutlich Trumps disruptive Außenpolitik: ständige Improvisation und Schockformeln mit dem alleinigen Ziel, einen Deal abzuschließen, so unbedeutend er auch sein mag. Eine inhaltsleere Politik, die einem vergänglichen Ego schmeichelt. ... Bei diesen Drehungen wird einem schwindelig gegenüber einem Wladimir Putin, der keinen Deut von seiner kriegerischen Strategie oder seinen eisigen Reden abweicht. Seit drei Jahren wiederholt der Kreml, dass die Ukraine ihre Gebiete nie zurückerhalten werde. ... Das Zögern des einen stärkt die Besessenheit des anderen. Eine frappierende Asymmetrie.“