Droht ein russischer Angriff aufs Baltikum?
Estnische Grenzer beobachteten am Freitag einige schwer bewaffnete Soldaten ohne Erkennungszeichen im "Saatse-Stiefel". Dort führt die Straße in das kleine Dorf Saatse einen Kilometer lang über russisches Territorium. Weiter geschah dann nichts – außer, dass die estnischen Behörden die Durchfahrt vorsorglich sperrten. Sind die baltischen Staaten akut bedroht? Der Vorfall heizte die Debatte um diese Frage erneut an.
Genauso absurd wie der Einmarsch in der Ukraine
Politologe Sergej Medwedew hält auf Facebook einen Überfall für möglich, weil Moskau bewiesenermaßen zu irrationalem Handeln fähig ist:
„Ein Angriff Russlands auf die Nato erscheint heute absurd, aber ebenso absurd erschien vor vier Jahren ein Angriff auf die Ukraine. Die wichtigsten Trümpfe Russlands sind Mobilmachung, Unberechenbarkeit, Irrationalität, Hybridität und eine gefügige Gesellschaft. Mit anderen Worten Dummheit und Mut – oder besser gesagt die Bereitschaft, zu sterben und jedes Risiko einzugehen. Diesen Eigenschaften hat die Nato nichts entgegenzusetzen. Ich sehe nichts, was Russland davon abhalten könnte, eines der baltischen Länder oder Polen anzugreifen – es riskiert wirklich nichts, warum sollte man es da nicht versuchen?“
Europas Schwachstellen sind anderswo
Journalist Edward Lucas warnt in Eesti Päevaleht vor überzogenem Alarmismus ebenso wie vor Kapitulationsstimmung:
„Russland hat seine Attacken auf die Infrastruktur der Ostsee und der umliegenden Länder intensiviert, die jedoch unterhalb der Schwelle zum Einsatz militärischer Gewalt bleiben. In den Medien erscheinen Horrorgeschichten ... Wenn Russland tatsächlich eine ernsthafte Provokation gegen Estland plant, könnte es dann tatsächlich so beginnen? Ich bezweifle das. Estland ist bis an die Zähne bewaffnet, hat die starke Unterstützung mächtiger Nato-Verbündeter und ist bereit, sich zu verteidigen. Ich bin viel mehr besorgt über die schwache Verteidigung und Kapitulationsstimmung in einigen anderen europäischen Ländern.“
Psychologische Kriegsführung altmodischer Art
Latvijas Avīze analysiert das Auftauchen obskurer russischer Bewaffneter an der estnischen Grenze:
„Offenbar handelt es sich um sogenannte psychologische Kriegsführung. In einer Zeit, in der regelmäßig unbekannte Drohnen in der Nähe wichtiger Objekte in europäischen Städten wie Flughäfen auftauchen (aber jeder weiß, wer dahinter steckt), verschiedene Sabotageakte und dergleichen stattfinden, könnten 'kleine grüne Männchen' sogar als eher veraltete Idee gelten, doch nirgendwo wird erwähnt, dass sie abgeschrieben wäre. Russlands Taktik, so zu tun, als hätte es mit dem Geschehen nichts zu tun und als sei überhaupt nichts geschehen, ist jedoch dieselbe geblieben.“
Gefahrenquellen rasch beseitigen
Postimees fordert nach dem Vorfall in Saatse schnelleres Handeln vom Staat, um die Sicherheit Estlands zu erhöhen:
„Die estnischen Behörden sind sich schon seit geraumer Zeit bewusst, dass als Alternative eine Umgehungsstraße gebaut werden muss. ... Innenminister Igor Taro sagt, dass die Straße schneller gebaut werden sollte, ohne die übliche Umweltverträglichkeitsprüfung. Saatse ist nicht der einzige Fall. Auch andere Gefahrenquellen müssen beseitigt werden. Als Vorbild könnte dienen, wie wir es geschafft haben, die Verbindung zum russischen Stromnetz zu kappen. Wir müssen auch mit der russischen Schattenflotte oder den Propagandisten unseres östlichen Nachbarn fertig werden.“