EU: Was bedeuten die Ermittlungen gegen Mogherini?

Die ehemalige EU-Außenbeauftragte und derzeitige Leiterin des College of Europe in Brügge, Federica Mogherini, steht unter Korruptionsverdacht: Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mogherini, ihren Stellvertreter und den EU-Beamten Stefano Sannino wegen möglicher geheimer Absprachen über einen von der EU geförderten Studiengang der Elite-Universität. Kommentatoren fragen nach Ursachen und Folgen.

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Spotmedia (RO) /

Schwerwiegende Vorwürfe

Bei Spotmedia heißt es, der Fall könne für die Kommission gefährlich werden:

„Die EU versucht, sich von einer Reihe von Korruptionsskandalen zu distanzieren, die in diesem Jahrzehnt aufgedeckt wurden. Die Durchsuchungen am Dienstag folgen auf den 'Katargate'-Skandal von 2022, wo dem Golfstaat vorgeworfen wurde, Europaabgeordnete durch Bestechung und Geschenke beeinflusst zu haben. ... Aber auch die EU-Kommission blieb von Verdächtigungen nicht verschont. ... [EU-Kommissionschefin] Von der Leyen wurde vom EU-Gericht kritisiert, weil sie sich geweigert hatte, ihre Textnachrichten mit dem Vorstand von Pfizer während der Covid-19-Pandemie zu veröffentlichen. ... Die Enthüllungen vom Dienstag sind jedoch für die Kommission gefährlicher, da die Verdächtigen sehr bekannt und die Vorwürfe schwerwiegend sind.“

Der Standard (AT) /

Kallas, übernehmen Sie!

Der Standard warnt vor einem massiven Imageschaden für die EU:

„Jenseits der strafrechtlichen Aspekte ist aber jetzt schon die amtierende EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas gefordert: Ihre Vorgängerin war von 2014 bis 2019 eine politische Schlüsselfigur in Europa. Daher muss schonungslos auf den Tisch, was da gelaufen ist. Dazu braucht es keine Polizei, sondern die Bereitschaft zu voller Transparenz. Das Europäische Parlament kann Druck machen und einen Untersuchungsausschuss einrichten. Geschieht das nicht, wird der Imageschaden nur noch größer werden. Korruption an höchster Stelle? Das kann sich Europa nicht leisten, nicht in Brüssel, nicht in Kyjiw. Also gilt: Kallas, übernehmen Sie!“

In (GR) /

Verschwendung gehört dazu

Das Webportal In analysiert:

„Die EU-Mittel sind dazu da, um verschwendet zu werden. Und tatsächlich sind sie nur ein Aspekt der inneren Disharmonie des europäischen Konstrukts: Aus der Vogelperspektive betrachtet scheint die EU ein Behälter für Milliarden von Euro zu sein, die in Lobbying für weitgehend nicht gewählte Vertreter investiert werden, die die jeweiligen Interessen fördern können und gleichzeitig Privilegien genießen, die keinem politischen Amt in den nationalen Regierungen entsprechen. ... Daher gibt es auch Institutionen wie das Europa-Kolleg, in dem heute verschiedene 'Ehemalige' der europäischen Bürokratie wie Mogherini eine neue Heimat gefunden haben.“

Politis (CY) /

Kein Schlag für die Union

Politis zieht positive Schlüsse aus der Causa Mogherini:

„Diese Entwicklung wirft zwar berechtigte Fragen zum Verhalten hochrangiger Amtsträger auf, stellt jedoch keinen Schlag für die Europäische Union dar. Im Gegenteil, sie ist ein Beweis dafür, dass das System funktioniert. Die Europäische Staatsanwaltschaft, eine 2021 gegründete Institution, ist ein echter Game Changer für das institutionelle Funktionieren der EU. Zum ersten Mal gibt es einen unabhängigen Mechanismus, der Betrug und Unregelmäßigkeiten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union untersucht, ohne davor zurückzuschrecken, Personen mit einer starken politischen Vergangenheit anzutasten. Die Vorladung von Mogherini und zweier weiterer Personen zeigt, dass niemand über dem Gesetz steht.“

Club Z (BG) /

Von internationalen Herausforderungen abgelenkt

Der Korruptionsskandal kommt für die EU zu einem schlechten Zeitpunkt, konstatiert Club Z:

„Dies geschieht parallel zu einer ähnlichen Schwächung der ukrainischen Position aufgrund der Entlassung von Andrij Jermak, dem ehemaligen Chef des Kabinetts von Präsident Wolodymyr Selenskyj, ebenfalls wegen Korruptionsvorwürfen. Gleichzeitig lenkt der Fall Mogherini-Sannino die Aufmerksamkeit der EU auf interne Probleme, lenkt sie von den internationalen Herausforderungen ab und droht, Spannungen zwischen Brüssel und den nationalen Hauptstädten zu schaffen, gerade wo die Kommission versucht, sie davon zu überzeugen, ein umstrittenes Reparationsdarlehen in Höhe von 140 Milliarden Euro für die Ukraine auf Kosten der in der EU eingefrorenen russischen Vermögen zu genehmigen.“