Neue US-Sicherheitsstrategie: Gefahr für Europa?
Die US-Regierung hat Europa in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie scharf kritisiert. In dem am Wochenende veröffentlichten Papier heißt es unter anderem, die EU untergrabe die politische Freiheit, unterdrücke die Opposition und verliere ihre nationalen Identitäten. Damit sei fraglich, ob bestimmte europäische Länder verlässliche Verbündete für die USA blieben. Kommentatoren überlegen, welche Schlüsse der Kontinent daraus ziehen muss.
Willkommen in der neuen Realität
Für El Mundo steht Europa vor einem historischen Wendepunkt:
„Die Trump-Regierung bestätigte gestern, dass Europa militärisch und strategisch nicht länger von den USA abhängig sein kann. … Und sie räumt ein, dass die USA 'europäische patriotische Parteien' – also nationalistische und identitätsorientierte Gruppen – unterstützen werden, um dem alten Kontinent zu helfen, 'seinen Kurs zu korrigieren'. Die Warnung ist unüberhörbar: Das Licht geht aus, und die EU muss selbst für ihre Sicherheit sorgen. ... Das hat nichts mit Trumps bekannter Wankelmütigkeit zu tun, das ist Teil einer sorgfältig gestalteten Strategie für eine neue Weltordnung. … Washingtons Kurswechsel stellt Europa vor eine historische Herausforderung.“
Alle sollen werden wie Ungarn
Die USA verabschieden sich von den Werten der Demokratie und wollen, dass Europa dasselbe tut, analysiert Público:
„Wir wussten bereits, dass die Trump-Regierung die amerikanische Außenpolitik umgekehrt hat und dass eine der wichtigsten Veränderungen gerade die Abkehr von den demokratischen Werten war, die sie geprägt haben. Wir wussten bereits, dass Donald Trump die Nato nicht schätzt und dass Europa Gefahr läuft, den amerikanischen Schutz zu verlieren, gerade wenn es erneut mit einer direkten Bedrohung seiner Sicherheit konfrontiert ist. Jetzt wissen wir, dass das Atlantische Bündnis, das sich gerade deshalb gegen alle Widrigkeiten behauptet hat, weil es auf gemeinsamen Prinzipien und Werten beruhte, die von seinen Demokratien geteilt wurden, nur überleben wird, wenn alle europäischen Nationen so werden wie Ungarn.“
Eklatante Einmischung Washingtons
Dennik Postoj kommentiert:
„Die Trump-Regierung zeigt sich missionarisch motiviert, ihre Ansichten zu Migration und anderen Themen im Ausland durchzusetzen. Viele europäische Politiken verdienen in der Tat Kritik. Doch die neue US-Sicherheitsstrategie sieht eine eklatante Einmischung in die Souveränität europäischer Staaten vor, wie sie sich keine amerikanische Regierung je erlaubt hat. Unter normalen Umständen würden solche Äußerungen aus Washington eine klare Zurückweisung verdienen. Doch die Europäer haben derzeit nicht die Möglichkeit dazu; sie müssen versuchen, ihren Sicherheitsgaranten zumindest vorübergehend zu beschwichtigen, bis sie die Vereinigten Staaten in der europäischen Sicherheitspolitik irgendwie ablösen können.“
Selbstverleugnung als Überlebensstrategie
Der Tages-Anzeiger fasst zusammen:
„Kurzfristig müssen die Europäer die Provokationen aus dem Weissen Haus zum Teil hinnehmen. ... Schmeicheleien, vergoldete Geschenke und das Versprechen, jetzt endlich in die eigene Sicherheit zu investieren, erfordern eine gewisse Selbstverleugnung, sind aber notwendig, weil in Europa 80.000 unverzichtbare US-Soldaten stationiert sind. Gleichzeitig müssen die Europäer ihren Werten treu bleiben und Einmischungen Washingtons in innere Angelegenheiten klar zurückweisen. Das Weisse Haus scheint Europas Zukunft in 'patriotischen' (also rechtspopulistischen) Parteien zu sehen, die gegen Einwanderer hetzen oder supranationale Strukturen wie die EU verachten. Aber weder müssen die Europäer Attacken auf ihre Demokratien dulden noch dürfen sie sich von der EU abwenden – das würde es Washington und Moskau nur erleichtern, Europa aufzuspalten.“
Endlich auf eigenen Beinen stehen
Europa darf sicherheitspolitisch nicht länger von den USA abhängig sein, mahnt The Sunday Times:
„Je mehr wir uns Trump unterwerfen, desto mehr wird er Macht und Einfluss der USA missbrauchen, um uns zu spalten und zu demütigen. Tatsächlich sollten alle westlichen Politiker davon ausgehen, dass Trump die Nato-Beistandsgarantie nicht einhalten würde. Das könnte uns endlich dazu bringen, das Thema Verteidigung ernst zu nehmen und auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist natürlich die große Herausforderung für Großbritannien und Europa. Die Alternative ist, das Opfer immer gnadenloserer Erpressung zu werden, nicht nur durch Trump, sondern auch durch Putin und Xi. Und man könnte sagen: Wir hätten es irgendwie verdient.“
Russland ist zufrieden
Die neue Sicherheitsstrategie der USA kommt für Svenska Dagbladet kaum überraschend, denn seit der Sicherheitskonferenz in München habe sich dieser Kurs angedeutet:
„Seit Februar hat sich in den Beziehungen viel getan. Trumps nationale Sicherheitsstrategie wird garantiert dennoch eingehend geprüft, und eine Sache, die sicherlich auffällt, ist, dass Amerikas alter Erzfeind Russland weder kritisiert noch als Bedrohung dargestellt wird. Aus Moskau kam am Wochenende auch ein zufriedenes Nicken von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Änderungen in Trumps Strategie seien 'im Großen und Ganzen mit unserer Vision vereinbar', ließ Peskow wissen.“
In der Ukraine will Washington vor allem Ruhe
Schlussfolgerungen für die Ukraine zieht Politologe Wiktor Schlintschak auf Facebook:
„Die USA wollen Vorhersehbarkeit an der europäischen Front. Es geht nicht um einen Frieden 'zu den Bedingungen des Aggressors', aber auch nicht um ein endloses Hin- und Herschaukeln. Sie brauchen ein stabiles Format, das die Ressourcen nicht erschöpft. Zweitens wird die Ukraine-Frage inzwischen im Hinblick auf den Fokus auf China betrachtet. … Bei künftigen Verhandlungen, Garantien oder Abkommen wird prüfend die Frage gestellt: 'Könnte das die USA etwa in der Konfrontation mit China schwächen?' Drittens: Sicherheitsgarantien sind keine bloßen Worte mehr. Es geht darum, die Kampffähigkeit Russlands einzuschränken. Das heißt, der Schwerpunkt liegt auf Abschreckung, und nicht darauf, die Welt in den Zustand von 1991 zurückzuversetzen.“