EU-Türkei-Gipfel bleibt hinter Erwartungen zurück

Der EU-Türkei-Gipfel im bulgarischen Warna sollte beide Seiten einander näherbringen. Konkrete Zusagen gab es jedoch wenige, weder beim Thema Zollunion, noch bei der möglichen Visafreiheit für Türken. Kein Wunder bei dem Verhalten Erdoğans, finden einige Kommentatoren. Für andere barg das Treffen dennoch einen Erfolg.

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Avgi (GR) /

Keine Versöhnung mit dem Sultan

Eine Annäherung der EU und Ankaras ist mit Präsident Erdoğan nicht drin, beobachtet Avgi:

„Die vielen gravierenden Unterschiede zwischen der EU und der Türkei können nicht durch das demonstrative Händeschütteln verschleiert werden. ... Solange sich der türkische Präsident wie ein moderner Sultan verhält, selbst wenn er die rhetorischen Waffen für einige Stunden diplomatisch senkt (während sich seine Gefährten und Verbündeten [in Afrin] darum bemühen, sie gefährlich hoch zu halten), gibt es keine Aussicht darauf, die vielen offenen Fragen zu lösen. ... Die anhaltenden Bemühungen Erdoğans, sich mit allen Mitteln als starker regionaler Akteur durchzusetzen, verursachen nur Probleme und vergrößern die Unsicherheit im gesamten unruhigen Nahen und Mittleren Osten.“

24 Chasa (BG) /

Bulgarien nicht nur Zaungast der großen Politik

Als großen diplomatischen Erfolg lobt Iwan Krastew die bulgarische Initiative für den EU-Türkei-Gipfel in Warna. In einem Beitrag für 24 Chasa schreibt der Politologe:

„Die kleinen Länder haben aus der Geschichte gelernt, dass ihr Platz am Verhandlungstisch ist, wenn sie nicht auf der Speisekarte landen wollen. Das Gipfeltreffen in Warna war wichtig, weil es demonstriert hat, dass kleine Länder wie Bulgarien nicht nur mit am Verhandlungstisch sitzen können, sondern sogar die größeren Länder dazu bringen können, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. … Die Tatsache, dass Borissow es geschafft hat, Juncker und Tusk nach Warna zu holen, gegen den Widerstand von einigen der 'Großen' in der EU, widerlegt den Irrglauben, dass die 'Kleinen' nur Zaungäste sein können, wenn Brüssel Außenpolitik macht.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Erdoğan schielt nach Moskau

Dem türkischen Präsidenten ist das Wohlwollen Putins wichtiger als die Solidarität mit seinen Verbündeten in der EU, stellt der Tagesspiegel fest:

„Noch während der Gipfel tagte, demonstrierte die Türkei ihre politische Entfernung zu Europa. Mit ausdrücklichem Hinweis auf die guten Beziehungen zu Moskau beteiligte sich Ankara nicht an den Ausweisungen russischer Diplomaten durch die türkischen Verbündeten in Europa und den USA. Die Türkei braucht das Wohlwollen des Kreml in Syrien. ... Zudem wurde in Warna deutlich: Türkei und Europa wissen, dass die türkischen Beitrittsgespräche mit der EU eine Farce sind, doch niemand will die Mitgliedsverhandlungen von sich aus beenden. ... In den türkisch-europäischen Beziehungen geht es nur noch um eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau, nicht mehr um Ausbau und Vertiefung.“

Hürriyet Daily News (TR) /

Der gute Wille ist vorhanden

Hürriyet Daily News hat noch Hoffnung auf eine Besserung der Beziehungen:

„Das Treffen in Warna zeigte den gegenseitigen Willen, den EU-Anker der Türkei beizubehalten. ... Doch ohne dem einen Namen zu geben, scheinen sich die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU eher pragmatisch auf einer Handlungsebene zu entwickeln, da die Aussichten auf die Eröffnung eines neuen Kapitels der Beitrittsverhandlungen getrübt sind. Daher wird in den kommenden Wochen die Schlüsselfrage für Europa sein, herauszufinden, wie die Türkei 'verankert' werden könnte, ohne die europäischen Werte aufzugeben. Dieser Prozess und die Zukunft der Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel hängen auch entscheidend davon ab, welche Schritte zu einer 'Normalisierung' der Türkei nach dem Putsch unternommen werden.“

24 Chasa (BG) /

Wenigstens ein Anfang

Für 24 Chasa war der Gipfel trotz magerer Ergebnisse ein Erfolg:

„Der gute Ton während der Gespräche und das gemeinsame Foto am Ende können als Beweis dafür dienen, dass der Dialog zwischen der EU und der Türkei wieder aufgenommen wurde. Der Hauptpunkt, an dem sich die Interessen beider Seiten kreuzen, der Flüchtlingsdeal, wurde bestätigt und das war das Wichtigste für Europa. In Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen von tausenden Inhaftierten in der Türkei ist man nicht vorangekommen. Doch die Tatsache, dass die EU dennoch bereit war, sich mit Erdoğan an den Verhandlungstisch zu setzen, war ein Kompromiss, den er sich zugutehalten kann. Im Großen und Ganzen war das Gipfeltreffen kein diplomatischer Durchbruch, doch es war ein guter Anfang.“

Die Presse (AT) /

Juncker mit Erdoğan überfordert

Das Bedauern von EU-Kommissionschef Juncker über das schlechte Verhältnis der EU zur Türkei und den stockenden türkischen Beitrittsprozess hält Die Presse für weltfremd:

„Man merkt Juncker in diesen stürmischen globalen Zeiten an, dass er mit der harten Machtpolitik eines Erdoğan, Putin oder Xi überfordert ist. Beruhigend, dass ihm mit Donald Tusk ein Präsident des Europäischen Rates zur Seite steht, der am eigenen Leib erfahren hat, wie es ist, als Dissident in einer Diktatur zu leben. Auch in Varna war es Tusk, der den richtigen Ton traf und festhielt, dass man mit Erdoğan zwar das Interesse teile, den Nahen Osten zu stabilisieren - dass aber nie, wenn es um konkrete Einigungen geht, ein Einvernehmen erzielbar ist.“

Duma (BG) /

Bulgarien, der scheue Gastgeber

Bulgariens Premier Bojko Borissow hat die Chance vertan, ein ernstes Gespräch mit Erdoğan zu führen, schimpft Duma. Auch von der EU habe Bulgarien wenig Gipfel-Unterstützung erfahren:

„Borissow ignorierte die Forderungen des Präsidenten, anderer Politiker und der Öffentlichkeit, mit Erdoğan über die Einmischung der Türkei in innere Angelegenheiten [während der letzten Parlamentswahl] zu sprechen. … Angesichts der Tatsache, dass Erdoğan selbst vor dem Treffen erklärt hatte, mit Borissow über bilaterale Themen und die Zukunft der Region sprechen zu wollen, fiel die geduckte Haltung der bulgarischen Regierung besonders auf. Die Sicherheit Bulgariens sei ein wichtiger Akzent der Gipfelgespräche, hatte Außenministerin Zahariewa gesagt. Doch weder von Tusk noch von Juncker war etwas dazu zu hören. Wir dachten, die EU sei eine Gemeinschaft. Offenbar ist sie nur für leeres Geschwätz gut.“