Kommt die PiS mit Richterentlassungen durch?

Nach Inkrafttreten eines Gesetzes in Polen, das 27 der 73 Richter am Obersten Gerichtshof zwangsweise in Pension schickt, sind diese am Mittwoch dennoch zur Arbeit erschienen. Die EU wirft Polen eine "systematische Bedrohung des Rechtsstaats" vor. Die Demontage der Demokratie könnte Polen auf Jahre hinweg schädigen und auch anderswo Schule machen, fürchten Journalisten.

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Rzeczpospolita (PL) /

Demokratie erleidet für lange Zeit Schaden

Die PiS regiert mit der Brechstange, beklagt Rzeczpospolita und befürchtet eine langfristige Schädigung der Demokratie in Polen:

„Ja, die PiS erreicht ihre Ziele. Ja, die Effektivität der Regierung kann beeindrucken. Dies aber geht auf Kosten des Demokratieverständnisses bei den Polen: Sie werden glauben gemacht, dass Demokratie sich auf die Wahlen beschränkt und danach endet. Denn der Wahlsieger darf das Land auf den Kopf stellen. ... Durch dieses undemokratische Denken werden nicht nur PiS-Anhänger, sondern auch die Gegner der Partei kontaminiert. Sie werden von der nächsten Regierung verlangen, dass diese mit der gleichen Effizienz wie die Partei Recht und Gerechtigkeit das Land umpflüge und auf den Trümmern ihre eigene Vision der Realität aufbaue.“

Aftonbladet (SE) /

Live beim Abbau des Rechtsstaats zuschauen

Die konsequente Abwicklung der Demokratie in Polen ist ein warnendes Beispiel, findet Aftonbladet:

„Die PiS begann die Legislaturperiode mit der Mitteilung, Polen sei nun reich genug, um in die Bürger zu investieren. Es gab mehr Kindergeld und die von der früheren Regierung eingeführte Erhöhung des Rentenalters wurde zurückgezogen. ... Die Bürger fühlen sich anerkannt statt vergessen. ... Von Schweden aus [wo die rechten Schwedendemokraten zwei Monate vor den Parlamentswahlen zweitstärkste Partei in den Umfragen sind] können wir live verfolgen, wie der Abbau eines Rechtsstaats in modernen Zeiten vor sich geht. Es braucht dreierlei, damit eine Partei die moderne Demokratie stürzen kann: Unzufriedenheit in der Bevölkerung, einen Feind und die Macht. In Schweden fehlt allein letztere Bedingung.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Demokratieabbau ist Programm

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht Polen auf dem Weg zum au­to­ri­tä­ren Staat, was Auswirkungen auf die gesamte EU haben könnte:

„Das ist ei­ne Ge­fahr für die Ge­mein­schaft, die nicht zu un­ter­schät­zen ist. Und sie hat nichts mit Eu­ro-Kri­se und Mi­gra­ti­on zu tun, son­dern mit der Ideo­lo­gie ei­ner na­tio­na­lis­tisch-po­pu­lis­ti­schen Par­tei. Auch wenn die War­schau­er Re­gie­rungs­par­tei PiS sich des The­mas Mi­gra­ti­on ger­ne be­dient: Den An­griff auf die frei­heit­li­che De­mo­kra­tie, den sie ge­ra­de voll­zieht, ha­ben ih­re Füh­rer schon ge­wollt, als das The­ma noch nicht so weit oben auf der Ta­ges­ord­nung stand. PiS de­mons­triert ein­fach un­ver­hüll­ter als ih­re Ge­sin­nungs­ge­nos­sen in an­de­ren west- wie ost­eu­ro­päi­schen Län­dern von Le­ga über FPÖ, AfD und Front Na­tio­nal, wo­hin der Zug fah­ren wird, wenn die­ses La­ger wei­ter an Ein­fluss ge­winnt.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Ein historischer Moment

Kommentator Wojciech Czuchnowski hingegen glaubt an einen baldigen Wandel in Polen. In Gazeta Wyborcza beschreibt er, wie Demonstranten die Vorsitzende des Obersten Gerichts jubelnd empfangen, als diese trotz Zwangsruhestands zur Arbeit kommt:

„Die Menschen, die sich seit einigen Tagen vor dem Obersten Gericht versammeln, sind zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass zwei der Gewalten - die Legislative und die Exekutive - einen Anschlag auf die dritte Gewalt verüben, die Judikative, wobei sie die Verfassung brechen. ... Noch nie haben Richter eine solch große Unterstützung von gewöhnlichen Leuten erfahren. Das war ein großer Moment. Ist das schon ein Erwachen? Ich habe den Eindruck, dass ein Wandel in der Luft liegt. Das war etwas, vor dem die Machthaber trotz der Propagandalügen Angst haben müssen. Über solche Momente sagt man, dass sie historisch sind.“

De Telegraaf (NL) /

Agrar-Subventionen letzter Hebel gegen Warschau

Wie die EU deutlich wirksamer als jetzt Druck auf Polen ausüben könnte, erklärt De Telegraaf:

„Polen empfing Dutzende Milliarden Subventionen aus Brüssel. Die Europäische Kommission will im neuen Haushalt, der ab 2021 gelten soll, Bedingungen aufnehmen, die Länder erfüllen müssen, wenn sie Geld haben wollen. Wenn ein Land es mit dem Rechtsstaat nicht so genau nimmt, dann kann es Mittel aus den Agrarfonds oder denen für regionale Entwicklung vergessen. Deutschland und die Niederlande sind sehr dafür. Es wird ein schwerer Kampf, doch am Ende gilt auch hier: Wer bezahlt, bestimmt. “

Rzeczpospolita (PL) /

PiS hat etwas Anderes versprochen

Die polnische Regierungspartei sollte aufpassen, mit ihrer Justizreform nicht zu weit zu gehen, mahnt der Chefredakteur von Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota:

„Die PiS erklärt, dass sie bloß die Erwartungen der Wähler und ihre Wahlversprechen erfüllt. Damals versprach sie die Reform des uneffektiven Justizwesens. ... Das waren Forderungen, die es zu unterstützen galt. ... Aber niemand sprach in der Wahlkampagne von der Verletzung der Verfassung, niemand kündigte personelle Säuberungen im Verfassungsgerichtshof und im Obersten Gerichtshof an, niemand sprach von einem grundlegenden Konflikt mit den europäischen Institutionen. Hätte es diese Ankündigungen bereits im Wahlkampf gegeben, würde Polen heute wahrscheinlich von jemand anderem regiert.“

El País (ES) /

Protestierende Polen nicht im Stich lassen

Die EU muss den polnischen Bürgern beistehen, verlangt El País:

„Polen erlässt Gesetze, die die Gewaltentrennung verwässern, einen gefährlich autoritären Weg einschlagen und mit den Werten der EU kollidieren. ... Ein großes Land mit einer schmerzvollen und tapferen jüngeren Geschichte, verzichtet auf das Beste, was es in seinem Kampf für Demokratie erobert hat, und fällt in die Hände einer nationalistischen und ultrakonservativen Regierung, die auf obszöne Weise die Justiz kontrollieren will. ... Die EU erfüllt ihre Pflicht, indem sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eröffnet. Die polnischen Bürger, die gegen die Demontage der Demokratie durch die Regierung demonstrieren, müssen eine unmissverständliche Botschaft der Unterstützung von ihren europäischen Freunden und Partnern erhalten. Sie müssen sich sicher sein können, dass die EU sie nicht im Stich lässt.“