Soll Rumänien auf Ratsvorsitz verzichten?

Rund sechs Wochen vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes hat die EU-Kommission Rumänien in ihrem Fortschrittsbericht mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung scharf kritisiert. Der Bericht zum Nachbarland Bulgarien fällt hingegen positiver aus. Kommentatoren erklären, was in Rumänien auf dem Spiel steht und bezweifeln, dass das Land Europa führen kann.

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Handelsblatt (DE) /

Europa kann sich Totalausfall nicht leisten

Die Aussicht, dass Rumänien demnächst das Ruder in der EU übernehmen soll, findet das Handelsblatt beunruhigend:

„Die Schieflage im größten Land Südosteuropas kommt für Europa zur Unzeit. Denn mit dem Brexit und der Italienkrise steht die EU vor riesigen Problemen. Wie Rumänien diese managen will, ist derzeit völlig unklar. Angesichts der politischen Schieflage wäre die Regierung des Landes gut beraten, auf die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft freiwillig zu verzichten. Denn Europa kann sich einen Totalausfall in der EU-Präsidentschaft angesichts der gewaltigen Herausforderungen nicht leisten.“

Contributors (RO) /

Rumäniens Stunde Null

Rumänien am Scheideweg sieht die Philosophin Dana Jalobeanu auf dem Blogportal Contributors:

„Das ist der Moment, in dem jeder von uns wählen muss: zwischen [PSD-Chef Liviu] Dragnea und Europa. … Es ist der Moment, wo jeder, für den die EU etwas zählt, es laut kundtun muss: schriftlich, auf der Straße, im Parlament, vor den Stadtverwaltungen, an jedem Ort, wo die Meinungsfreiheit noch immer möglich ist. ... Es geht um unser Recht, europäische Bürger zu sein: zu reisen, zu arbeiten oder in Europa zu lernen. Es geht um das bisschen Wohlstand unserer Landsleute, das in den vergangenen Jahren durch die Geldtransfers all jener abgesichert wurde, die in anderen EU-Ländern arbeiten. … All das steht jetzt auf dem Spiel. In der Stunde Null Rumäniens.“

România liberă (RO) /

Brüssel misst mit zweierlei Maß

Das regierungstreue rumänische Blatt România Liberă bezweifelt, dass Bulgarien tatsächlich so viel besser dasteht als Rumänien:

„Die Überwachung Bulgariens mittels der EU-Fortschrittsberichte könnte 2019 zu Ende gehen, kündigte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans an. ... Wurden in Bulgarien etwa nicht unlängst Journalisten des [rumänischen Recherchenetzwerkes] Rise Project festgehalten? War es nicht Bulgarien, wo die Polizei das organisierte Verbrechen deckt? Ist es nicht Bulgarien, wo weltweit stündlich die meisten Strafermittlungen abgelehnt werden? ... Wenn wir weiterhin unter Beobachtung stehen, die Bulgaren aber nicht mehr, dann zeigt das, dass Brüssel mit zweierlei Maß misst. Es fälscht die Informationen, nur damit in Bukarest eine politische Macht an die Regierung kommt, die den Kleptokraten in Brüssel gehorcht.“

Die Presse (AT) /

Mittel einfrieren und Verfahren einleiten

Wie das Scheitern der jungen Demokratien in Osteuropa zu verhindern ist, erklärt die Tageszeitung Die Presse:

„Es wird eines Zusammenwirkens mehrerer Maßnahmen bedürfen, um das Abgleiten mehrerer europäischer Länder in Richtung gelenkter Demokratie autoritärer Prägung zu bremsen: vom selektiven Einfrieren von EU-Mitteln bis zur schnelleren Lancierung von Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission. Arrogantes Oberlehrergetue ist dabei verzichtbar. Das verstärkt das Gefühl vieler Menschen in den neuen EU-Mitgliedstaaten, nur als Bürger zweiter Klasse zu gelten. Dieses Ressentiment wiederum dient den Demagogen in Bukarest, Budapest und Warschau als Nährboden ihres Ethnopopulismus.“

Club Z (BG) /

Bulgariens Regierung in der Pflicht

Die miserable Situation der Medien in Bulgarien muss auf höchster politischer Ebene angegangen werden, fordert Club Z:

„Erstens richtet sich das EU-Monitoring vor allem an die Regierung. Zweitens betrifft die Kritik an der Mediensituation, vor der die Regierung nicht einfach die Augen verschließen kann, eine der Grundfesten der bulgarischen Demokratie. Drittens sind die undurchsichtigen Besitzverhältnisse in den Medien eine Frage der Regulierung, die ebenfalls in die Verantwortung der Regierung fällt. ... Sie kann also nicht einfach Nutzen aus der schlechten Situation der Medien ziehen und sich gleichzeitig die Hände in Unschuld waschen.“