Ist Rumänien fit für den EU-Ratsvorsitz?

Die Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Rumänien bleibt umstritten. Bukarest steht seit Monaten wegen der Justizreform in der Kritik, die auch im Land selbst Streit ausgelöst hat. Zuletzt hatte Kommissionspräsident Juncker an der Führungsfähigkeit Rumäniens gezweifelt. Kommentatoren befürchten eine Phase der Instabilität und fordern Europas Sozialdemokraten zum Handeln auf.

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Tageblatt (LU) /

Genossen zur Rechtsstaatlichkeit antreiben

Europas Sozialdemokraten sollten jetzt einen strengen Blick auf ihre Kollegen der in Bukarest regierenden Partidul Social Democrat werfen, fordert das Tageblatt:

„Die europäischen Sozialdemokraten (SPE), die zu Recht seit Jahren die konservative Europäische Volkspartei (EVP) wegen der Mitgliedschaft der ungarischen Fidesz des Viktor Orbán vor sich hertreiben, sollten es besser machen und die rumänischen Genossen entsprechend unter Druck setzen. Die Forderung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien kann nicht parteipolitischen Überlegungen unterworfen werden. Nicht nur der EU-Ratsvorsitz, sondern auch die im Mai anstehenden Europawahlen sollten für die SPE Gelegenheit genug sein, hier reinen Tisch zu machen. Die europäischen Sozialdemokraten würden dabei an Glaubwürdigkeit gewinnen.“

Krónika (RO) /

Ein Vorsitz auf tönernen Füßen

Zwischen der rumänischen Regierung und Opposition fliegen juristisch derart die Fetzen, dass der EU-Ratsvorsitz sehr wackelig dasteht, befürchtet die ungarischsprachige Tageszeitung Krónika:

„Ein Urteil des Verfassungsgerichtes besagt, dass die Besetzung der Richter am Obersten Gericht seit Jahren gesetzwidrig verlief. Darum müssen nun zahlreiche große Korruptionsverfahren von Anfang an wiederholt werden. Und auch der Prozess gegen den Parteivorsitzenden der Partidul Social Democrat, Liviu Dragnea, kommt nur schleppend voran. ... Der Krieg [zwischen Regierung und Opposition] wird im Jahr 2019, in dem zwei Wahlen anstehen, mit Sicherheit noch heftiger weiter gehen. All das bedeutet nichts Gutes für die rumänische EU-Ratspräsidentschaft Anfang 2019.“

Turun Sanomat (FI) /

Nationalistisch, EU-kritisch und korrupt

Viel Kritik an Rumänien kommt von Turun Sanomat:

„Seit 2008 haben neue EU-Mitgliedsländer die Ratspräsidentschaft übernommen. Doch das Risiko, zu scheitern, ist für Rumänien viel größer als für die anderen neuen Länder. Rumänien ist das korrupteste Land Europas. Die regierenden Sozialdemokraten haben sehr wenig mit ihren nordeuropäischen Schwesterparteien gemein. Die Führungsriege der Sozialdemokraten gilt als nationalistisch, EU-kritisch und durch und durch korrupt. ... Rumäniens Innenpolitik ist gerade zu Beginn der Ratspräsidentschaft völlig durcheinander. Für Finnland, das viel Wert auf die grundlegenden Werte der EU legt, wäre ein Scheitern Rumäniens alles andere als nebensächlich. Falls Rumänien seine Aufgabe nicht bewältigt, müsste Finnland den EU-Vorsitz vorzeitig übernehmen.“

Ziare (RO) /

Damit ist Bukarest überfordert

Dass die rumänische Regierung der Ratspräsidentschaft nicht gewachsen ist, glaubt auch das Onlineportal Ziare:

„In der sechsmonatigen Präsidentschaft wird es für die EU zwei wichtige Ereignisse geben: den Brexit, der am 29. März 2019 stattfinden soll und die Europawahlen, die vom 23. bis 26. Mai ausgetragen werden. In den folgenden sechs Monaten wird also darüber entschieden, wie die EU sich in den kommenden fünf Jahren politisch ausrichtet. Wie kann eine Regierungschefin wie Viorica Dăncilă, die sich nicht einmal kohärent in ihrer Muttersprache ausdrücken kann, so eine Debatte mitgestalten? Eine schwer vorstellbare Situation.“

Český rozhlas (CZ) /

Land kann sich keine Schande leisten

Rumänien ist nicht das erste junge EU-Land, dem man von Beginn an die Fähigkeit abspricht, den Vorsitz der Union für ein halbes Jahr zu meistern, erinnert hingegen der öffentlich-rechtliche Hörfunksender Český rozhlas:

„Es bleibt die Hoffnung, dass sich am Beispiel Rumäniens im ersten Halbjahr 2019 die Geschichte wiederholt. Sorgen machte man sich einst auch über die Ratspräsidentschaft Bulgariens. Sofia hat das am Ende aber hinbekommen. Während der tschechischen Präsidentschaft [in der 1. Jahreshälfte 2009] stürzte sogar die Regierung. Am Ende wurde der tschechische Vorsitz dennoch grundsätzlich für gut befunden. Rumänien muss die Kraft finden, seine inneren Konflikte zu bewältigen. Eine Schande kann sich das Land nicht leisten. Sie hätte auch Folgen für den Rest der EU.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Dracula-Image abschütteln

Und gar als Chance für das Land betrachtet die Politologin Ruth Ferrero-Turrión in El Periódico de Catalunya das kommende halbe Jahr:

„Mit Rumänien übernimmt eines der ärmsten und periphersten Länder Europas. Und das in einer schwierigen Situation voller Zweifel und Herausforderungen. ... Es ist eine Feuerprobe und die Chance, Zweifler davon zu überzeugen, dass es wirklich ein würdiges EU-Mitglied ist. Bukarest kann seine Kapazität und sein Verhandlungsgeschick unter Beweis stellen gegenüber den EU-Partnern, die das Land seit dem Beitritt mit Misstrauen oder sogar mit Ablehnung betrachtet haben. Für das Land, das vielen vor allem als Wiege Graf Draculas und als Herkunftsort von Migranten bekannt ist, ist es die Chance, Vorurteile und Klischees zu überwinden.“

Financial Times (GB) /

EU muss sich für Problemfälle wappnen

Dass Rumänien trotz schwerwiegender Verstöße gegen europäische Werte nun den Ratsvorsitz übernimmt, unterstreicht die dringende Notwendigkeit demokratischer Schutzmaßnahmen, findet schließlich Financial Times:

„Es ist völlig klar, dass die Art und Weise, wie die EU mit Problemfällen umgeht, dringend reformiert werden muss. So sollten alle EU-Mitglieder jährlich überprüft werden mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz, demokratische Standards und Menschenrechte. Eine solche Überprüfung würde Beschwerden über Doppelstandards durch neuere Mitgliedstaaten beseitigen. Sie würde zudem helfen, mögliche Verstöße früher aufzuzeigen. ... Zudem sollte eine solche Kontrolle durch eine Reihe von Strafmaßnahmen gedeckt werden.“

Deutschlandfunk (DE) /

Kritik kommt zu spät

Die Zweifel Junckers sind berechtigt, kommen allerdings ziemlich scheinheilig daher, kommentiert der Deutschlandfunk:

„Derselbe Juncker, der jetzt Kritik an der rumänischen Regierung übt, hat noch vor ein paar Monaten bei einem Besuch eben derselben Regierung trotz der damals schon erkennbaren umstrittenen Justizreform bescheinigt, Rumänien könne die EU-Ratspräsidentschaft durchaus meistern. Man muss sich schon fragen: Woher kommt der Sinneswandel? Und warum ist der EU-Kommissionspräsident nicht schon damals, oder noch besser viel früher in die Bütt gegangen, um seine Zweifel an Rumäniens Eignung publik zu machen? ... Um wirklich etwas zu ändern, bedarf es mehr als eines Zeitungsinterviews im allerletzten Moment.“

Deutsche Welle (RO) /

Gut für die Opposition

Der EU-Ratsvorsitz könnte auch einen positiven Effekt für das Land haben, meint der rumänische Dienst der Deutschen Welle:

„Es ist völlig klar, dass dieses Regime von Kleptokraten und Analphabeten nicht einmal ein Europa im einwandfreien Zustand führen könnte, geschweige denn ein Europa, das von Krisen gebeutelt wird. ... Allerdings könnte die internationale Sichtbarkeit durch den EU-Ratsvorsitz die Kleptokraten dazu bewegen, beim Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den ersten sechs Monaten des neuen Jahres etwas leiser zu treten. So bekämen Opposition und Bürger, die noch Widerstand leisten, eine Verschnaufpause, um sich neu aufzustellen und wirksamer für die Interessen des Landes zu kämpfen.“

Jutarnji list (HR) /

Ratsvorsitz ist nicht mehr so wichtig

Der EU-Ratsvorsitz eines Landes hat heutzutage eher eine symbolische Bedeutung, meint Jutarnji list:

„Dies hat sich vor allem nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und mit der Einrichtung der Ämter des Präsidenten des Europäischen Rats und des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik verändert. ... Dies heißt nicht, dass der Vorsitz und die Rolle des Landes, das die EU führt, nicht wichtig wären. Es ist eine Gelegenheit zur Eigenwerbung besonders für diejenigen Länder, die zum ersten Mal den Vorsitz haben. Doch der Erfolg - vor allem bei der Einigung über Themen, die sich als Priorität herausstellen - hängt nicht vom Ratsvorsitz ab, sondern von vielen Faktoren, auf die das Land kaum Einfluss hat.“