Corona: Lockdown versus Herdenimmunität

Europaweit werden Grenzen abgeriegelt, Schulen geschlossen und Veranstaltungen verboten. In Italien, Spanien und anderen Ländern gilt sogar eine Ausgangssperre. Großbritannien hingegen hielt sich bislang mit drastischen Maßnahmen zurück. Man setzte darauf, dass sich die Bevölkerung in Maßen ansteckt. So soll eine Herdenimmunität erreicht werden. Eine fatale Strategie?

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The Sun (GB) /

Nicht nur Menschen, auch Unternehmen retten

Die britische Regierung berücksichtigt in ihrem Handeln zu recht die Auswirkungen auf die Wirtschaft, meint The Sun:

„So viele Leben wie möglich zu retten, hat natürlich Priorität. Doch die Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen ist nun ganz besonders dringlich geworden. Die Warnung von British Airways, dass die große Fluglinie ums Überleben kämpfe, ist beängstigend. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. ... Die neue Regierung von Boris Johnson ist in den ersten drei Monaten ihres Bestehens von der schlimmsten Krise seit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch 2008 getroffen worden. ... Sie muss alles nötige Geld investieren, um gesunde Unternehmen über Wasser zu halten.“

The Guardian (GB) /

Die sanfte Tour macht alles nur noch schlimmer

Scharfe Kritik an der britischen Regierung übt The Guardian:

„Stellen Sie sich vor, Ihr Haus brennt, und die Menschen, die sie gewählt haben, damit sie sich um Sie kümmern, versuchen nicht, es zu löschen. Obwohl sie wussten, dass das kommen würde, und sehen konnten, was mit den Nachbarn geschah, als diese plötzlich überwältigt wurden, haben die Mitglieder der britischen Regierung unerklärlicherweise beschlossen, die Flammen anzuheizen - in der fehlgeleiteten Annahme, dass sie sie irgendwie kontrollieren könnten. ... Großbritannien sollte nicht versuchen, eine Herdenimmunität zu erreichen, das wird schon von selbst passieren. Die Politik sollte darauf ausgerichtet sein, den Ausbruch der Pandemie auf eine überschaubarere Rate zu verlangsamen.“

La Stampa (IT) /

Riskante Wette

Wirtschaftsjournalist Francesco Guerrera erklärt in La Stampa, worin das Risiko besteht, auf die Herdenimmunität zu setzen:

„Die Briten gehen davon aus, dass viele Menschen infiziert werden, unabhängig davon, wie die Behörden entscheiden. Ihr Ziel ist nicht, wie in Italien, die Epidemie zu stoppen, sondern sicherzustellen, dass die begrenzten Ressourcen der Gesundheitsinfrastruktur den Höhepunkt der Epidemie auffangen und dann die schlimmsten Fälle heilen können. Der Kerngedanke ist die 'Herdenimmunität' - basierend auf der Tatsache, dass diejenigen, die das Virus überleben, nicht mehr infiziert werden können. ... Britische Experten sprechen von einem 'Gleichgewicht zwischen Infektion und Hospitalisierung'. Aber selbst mit dieser 'Rechnung' könnte die Zahl der Todesfälle in Großbritannien zwischen 80.000 und einer halben Million liegen.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Vorbild Südkorea

Südkorea hat gezeigt, dass auch eine Demokratie das Virus erfolgreich bekämpfen kann - und das ohne Lockdown, erklärt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Von Anfang an hat man dort Prioritäten gesetzt: Nirgends wurde mehr getestet, kaum irgendwo wurden Kontaktpersonen so konsequent ermittelt und in Quarantäne genommen. Isolation war Vaterlandspflicht. ... Inzwischen wird praktisch jeder Schritt von Infizierten mit einer App auf dem Handy überwacht. Isolation ist bindend, diese Botschaft wird nicht nur durchgesetzt, sie wird offenbar auch verstanden. Weder ist die koreanische Demokratie gefährdet, noch hat das Vertrauen in die Regierung erkennbar gelitten. ... Und der Erfolg ist messbar, Leben wird gerettet.“

El País (ES) /

Möge das bessere Konzept gewinnen

Die Regierungen tasten sich durch Versuch und Irrtum an den richtigen Umgang mit der Krise heran, stellt El País fest:

„In keiner Krise der Geschichte der Menschheit hat die Wissenschaft eine so bedeutende Rolle gespielt. Aber statt eines globalen Konsens darüber, wie man reagieren sollte, sehen wir so vielfältige nationale Antworten wie selten. ... Wir Bürger müssen uns klarmachen, dass unsere Politiker - selbst wenn sie sich von den besten Absichten und den besten ihnen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten leiten lassen - geirrt haben und sich irren werden. So entwickelt sich Wissen: durch die Methode von Versuch und Irrtum. ... Dank so vielfältiger nationaler Reaktionen können wir in relativ kurzer Zeit sehen, welche Maßnahmen besser funktionieren. Fehler führen uns zum Erfolg.“