Ukraine beantragt zügigen EU-Beitritt

Die Ukraine will durch ein Sonderverfahren schnell Mitglied der Europäischen Union werden. Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte in einem Interview am Sonntag die besonderen Beziehungen zur Ukraine betont: "Im Laufe der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns, sie sind einer von uns und wir wollen sie drinhaben." Inwieweit ein Beitritt per Eilverfahren möglich und sinnvoll wäre, debattiert Europas Presse.

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tagesschau.de (DE) /

Menschlich verständlich, politisch unklug

Der Ukraine jetzt einen Beitritt in die EU in Aussicht zu stellen, würde falsche Erwartungen wecken, befürchtet Tagesschau.de:

„Denn eine Entscheidung im Eilverfahren, wie sie sich der ukrainische Präsident wünscht, wird es nicht geben. Die Europäische Union hat dafür aus gutem Grund eine feste Prozedur. In kleinen Schritten werden Beitrittskandidaten allmählich an die EU herangeführt. Der Prozess zieht sich über Jahre, damit die nötigen Reformen und Anpassungen an Europas Werte- und Rechtsrahmen vorgenommen werden können. ... Den tapferen Menschen in der Ukraine angesichts des furchtbaren Kriegs Hoffnung machen zu wollen, ist menschlich verständlich. Politisch klug ist es nicht.“

De Morgen (BE) /

Lieber einen kühlen Kopf bewahren

Auch De Morgen ist skeptisch:

„Außer warmer Menschlichkeit müssen wir jetzt vor allem den kühlen Kopf bewahren. ... Wie soll das gehen, ein Land mitten im Krieg in die EU aufnehmen? ... Selbstverständlich müssen wir Europäer an der Seite der Ukraine stehen in diesem schrecklichen Krieg. Dennoch müssen wir vermeiden, dass wir uns selbst Hals über Kopf ins militärische Gedränge stürzen. ... Natürlich muss man die Worte von von der Leyen vor allem als politisch-symbolische Unterstützung interpretieren. ... Aber die EU-Spitzenpolitiker sollten sich besser zurückhalten. Denn wenn es nicht gelingt, den Worten Taten folgen zu lassen, wird das Ergebnis tiefe Ernüchterung und Verfremdung sein. “

La Stampa (IT) /

Plötzlich keine Ketzerei mehr

Wenigstens liegen die Karten nun offen auf dem Tisch, findet La Stampa:

„Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, spricht nun offen von einem Beitritt der Ukraine zur Union. Sie tut dies, weil die Ukraine mit ihrem Widerstand für uns alle einsteht. Denn Putins Krieg richtet sich nicht nur gegen Kyjiw, sondern auch gegen die Werte, nach denen die Menschen dort streben. Es sind unsere Werte. ... Ob dies in der Zukunft zu einer Mitgliedschaft führen wird oder ob der Beitritt strategisch klug ist, ist natürlich fragwürdig. Sicher ist jedoch, dass das, was bis vor wenigen Tagen noch als reine Ketzerei oder Kreml-Propaganda galt, nun offen diskutiert wird.“

Le Monde (FR) /

Vorbildlichen Europäern die Hand reichen

In einem Gastbeitrag in Le Monde fordern 16 Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler, die Ukraine offiziell als Kandidatin anzuerkennen:

„Seit 2014 zahlt die Ukraine einen hohen Preis für ihren Freiheitsdrang und ihren Glauben an die europäischen Ideale. Deshalb marschiert Russland nun in das Land ein und bombardiert es, trifft dabei Zivilisten, Soldaten und wichtige Infrastruktur. Deshalb wurde die Krim annektiert und der Donbass besetzt. Trotz der Angriffe, trotz der Drohungen wollen die Ukrainer zu Europa gehören. Sie zeigen uns, - für den Fall, dass wir es vergessen haben sollten - was es bedeutet, Europäer zu sein: gemeinsame Werte und eine gemeinsame Geschichte sowie die Freiheit, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Hören wir ihren Ruf und reichen wir ihnen die Hand.“

Club Z (BG) /

EU hat die Ukraine nicht verdient

Diejenigen, die über den Beitritt entscheiden werden, spielen in einer völlig anderen Liga als Kyjiw, schreibt der Kolumnist Vesselin Jelev in Club Z:

„Die Ukraine kämpft gegen Wladimir Putins Versuch einer Sowjetunion 2.0. Deshalb kämpft die Ukraine für Europa. In diesem Kampf setzen die Ukrainer ihr Leben aufs Spiel, während Europa lange kalkuliert - zum Beispiel den Gaspreis. Wenn die Ukraine überlebt und sich weiterhin um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bewirbt, werden diejenigen, denen der Gaspreis so wichtig war, darüber entscheiden, ob die Ukraine ihre Kriterien von Maastricht und Kopenhagen erfüllt. Ich weiß nicht, ob sie ihren Kriterien genügen wird. Aber ich weiß, dass Europa heute die Kriterien der Ukrainer nicht erfüllt.“