Abschuss von mutmaßlichem Spionageballon: Was folgt?

Die US-Luftwaffe hat einen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon über den Gewässern vor South Carolina abgeschossen. Peking insistierte, dass es sich bei dem Ballon lediglich um ein fehlgeleitetes ziviles Flugobjekt zur Klimaerforschung gehandelt habe, und kritisierte das militärische Vorgehen der USA als “Überreaktion”. Europas Presse fragt nach Motiven und vermisst ein Bemühen um Deeskalation.

Alle Zitate öffnen/schließen
Jelen (HU) /

Durch Twitter-Debatte aufgeheizt

Die öffentliche Aufmerksamkeit hat Spannungen verschärft, meint die liberale Wochenzeitung Jelen:

„Die Lage wurde offenbar durch die Veröffentlichung des Vorfalls aufgeheizt. ... Was auf Twitter steht, kann in wenigen Augenblicken eine politische Debatte auslösen. Es waren noch keine wesentlichen Informationen verfügbar, als republikanische Politiker bereits die Regierung angegriffen haben und fragten, warum der Ballon nicht abgeschossen wurde, während die Hexenküche der Regierung anfing, frühere Vorfälle unter Trump aufzuzählen, bei denen chinesische Ballons [in den Luftraum] eingedrungen sind und nicht abgeschossen wurden.“

Spotmedia (RO) /

Naivität oder Test

Über die Motive des chinesischen Vorgehens rätselt der Politologe Valentin Naumescu in Spotmedia:

„Werden die Amerikaner auf dem Grund des Atlantiks eine interessante und kompromittierende Apparatur der Chinesen finden? Das wäre eine schwer zu verstehende Naivität, wenn China hier wirklich hochentwickelte Spionagetechnik in den Ballon gesteckt hätte. … Wenn nichts Kompromittierendes im Ballon ist, bleibt die These, dass die Chinesen die Reaktion der USA testen wollten, und die Schlussfolgerung, dass Peking schon vorher wusste, dass der Ballon heruntergeholt werden würde, was klar war. Doch sie wollten wissen, wann (in welchem Moment) und wie (verfahrenstechnisch) die Amerikaner handeln würden.“

The Irish Times (IE) /

Zwei unbeugsame Giganten auf Konfrontationskurs

The Irish Times ist besorgt:

„Die Beziehung zwischen China und den USA ist frostig – in wirtschaftlicher und diplomatischer Hinsicht. Präsident Biden scheint entschlossen zu sein, die beiden Großmächte wirtschaftlich voneinander zu 'entkoppeln' und die komplexen Abhängigkeiten in Lieferketten zu lösen, um vier Jahrzehnte der schrittweisen Einbindung der chinesischen Wirtschaft mit dem Westen zu beenden. Washington scheint sich zunehmend an den Gedanken eines langfristigen Wirtschaftskonflikts mit Peking zu gewöhnen. Und auch China zeigt keinerlei Anzeichen, sich beugen zu wollen. ... China selbst steuert entschlossen auf eine weitere Konfrontation zu.“

Večernji list (HR) /

Wachsende Rivalität

Der Vorfall vertieft die Gräben zwischen den beiden Ländern, analysiert Večernji list:

„Trumps Handelskrieg gegen China, den die Regierung Biden fortgesetzt und weiter zugespitzt hat, breitete sich in jüngster Vergangenheit auch auf weitere Dinge aus. Die US-Seite beschloss vor Kurzem, die Ausfuhr von Ausrüstung zur Herstellung von Mikrochips nach China zu begrenzen, um den technologischen Aufstieg Chinas zu verlangsamen. Immer öfter ist von Krieg die Rede, vor allem nach dem unerwarteten Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan letztes Jahr sowie der Ankündigung von Präsident Biden, man würde Taiwan im Falle einer chinesischen Invasion verteidigen.“

Reflex (CZ) /

China stellt sich selbst ein Bein

Reflex erinnert daran, dass das Ereignis kein Einzelfall war:

„Der abgeschossene Ballon hing auch eine Weile im kanadischen Luftraum herum, und ein weiterer, sehr ähnlicher Ballon, ist über Südamerika zu sehen. Ein derartiger Vorfall ereignete sich auch während der Trump-Administration, blieb aber unbemerkt von der Öffentlichkeit. Und dank solcher Exzesse hat sich die potenzielle Deeskalation der Beziehungen zwischen Amerika und China auf unbestimmte Zeit verschoben. Seit Jahren beklagt sich China darüber, vom Westen schikaniert zu werden. Aber das liegt daran, dass das Land keine fünf Minuten vergehen lassen kann, ohne etwas zu tun, das man in einer modernen Gesellschaft einfach nicht macht.“

Handelsblatt (DE) /

Lehren aus Kubakrise nicht vergessen

Die China-Korrespondentin des Handelsblatts, Sabine Gusbeth, mahnt:

„Manch ein Experte fühlt sich bereits an die Kubakrise im Jahr 1962 erinnert. Damals drohte ein Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion. Eine derartige Eskalation zwischen den Atommächten USA und China muss um jeden Preis vermieden werden. Die Lehren aus der Kubakrise könnten dabei helfen, den aktuellen Konflikt zu entschärfen: Gesprächskanäle müssen unter allen Umständen offen gehalten werden, um eine weitere Verschärfung der Situation zu verhindern. Deshalb war die Absage der geplanten Pekingreise von US-Außenminister Antony Blinken falsch. Insbesondere wenn es zutrifft, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping einem Treffen bereits zugestimmt hatte.“

The Economist (GB) /

Einander besser verstehen lernen

Robustere Kommunikationskanäle fordert The Economist:

„Es ist doch kein Geheimnis, dass China Amerika ausspioniert – und umgekehrt. Der Informationsbeschaffungswert des Ballons war, wie selbst das Pentagon zugegeben hat, begrenzt. Das ist wichtig, denn wenn die Rivalität so ernsthaft wird, wie zwischen Amerika und China, besteht das Risiko, dass Beziehungen schon durch kleine Zwischenfälle außer Kontrolle geraten. ... Mit etwas Glück wird der Ballon-Vorfall die Lage nicht eskalieren. Aber etwas Ähnliches könnte das durchaus. ... Wenn die Herren Biden und Xi nicht möchten, dass ihre Beziehung von Unfällen, Fehlern und Missverständnissen bestimmt werden, müssen sie bessere Wege der Kommunikation finden.“

Der Standard (AT) /

Blinken sollte Peking-Besuch bald nachholen

Der Standard fordert Schadensbegrenzung:

„Beide Seiten inszenieren einen großen geopolitischen Konflikt, in dem es nur einen Sieger geben kann. Diese Haltung zerstört nicht nur eine jahrzehntelang für beide Seiten fruchtbare Beziehung, sondern richtet politischen und wirtschaftlichen Schaden weltweit an. ... Auf der politischen Ebene lebt die Hoffnung, dass der Konflikt – anders als der mit Russland – Getöse bleibt. Ein positives Zeichen wäre, wenn US-Außenminister Antony Blinken seinen Peking-Besuch bald nachholte. Für die Weltwirtschaft stehen die Zeichen weniger gut. Der kalte Wirtschaftskrieg zwischen USA und China wird alle ärmer machen.“