Nahost: Muss Israel Zivilisten besser schützen?

Die hohe Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen, wo Israel gegen die radikal-islamische Hamas vorgeht, wird international vermehrt kritisiert. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind es bereits über 13.000. Israel betont, es wolle zivile Opfer vermeiden, doch das Tunnelsystem der Hamas, in dem Geiseln, aber auch Waffen und Vorräte versteckt würden, verlaufe auch unter zivilen Einrichtungen. Kontroverse in Europas Presse.

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Times of Malta (MT) /

"Menschliche Schutzschilde" sind immer noch Menschen

Das israelische Militär geht bei seinen Aktionen im Gaza-Streifen eindeutig zu weit, kritisiert der politische Philosoph Kenneth Wain in Times of Malta:

„Die Erklärung, dass die Hamas Zivilisten als 'menschliche Schutzschilde' einsetze, kann niemals die rücksichtslose Tötung von Männern, Frauen, älteren Menschen, Kindern und von Patienten in Krankenhäusern in Gaza rechtfertigen. ... Als 'menschlicher Schutzschild' eingesetzt zu werden, beraubt ein Volk nicht seiner Menschlichkeit und macht es nicht zu einem Objekt oder legitimen Ziel. Im Gegenteil: Die Rechte dieser Menschen sind in so einem Fall noch stärker zu schützen. Es muss mit noch größerer Vorsicht vorgegangen werden, damit die Gefahr für Leib und Leben so gering wie möglich bleibt.“

El País (ES) /

Es fehlt eine politische Strategie

El País sieht Israel in der Zwickmühle:

„Warum zeigt die israelische Regierung so wenig Menschlichkeit? Vielleicht, weil sie keine politische Strategie hat, sondern nur militärische Gewalt. ... Sie will die bevorstehende innere Krise verbergen, die viele ihrer eigenen Leute fürchten. Ein Szenario wäre die gewaltsame Eingliederung aller besetzten Gebiete. Dazu müssten entweder alle palästinensischen Einwohner vertrieben, was für die Nachbarländer unannehmbar wäre, oder ein strenges Apartheidregime errichtet werden. ... Das wäre für die internationale Gemeinschaft und einen Teil der israelischen Bevölkerung inakzeptabel. Die andere Option wäre die Gründung eines palästinensischen Staates. Doch da warten schon 500.000 bis an die Zähne bewaffnete Siedler, die einen Bürgerkrieg anzetteln könnten.“

Kleine Zeitung (AT) /

Welch eine Doppelmoral

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann kritisiert in der Kleinen Zeitung, dass Israel und die Hamas mit zweierlei Maß gemessen werden:

„Vom UN-Generalsekretär abwärts wird Israel aufgefordert, die humanitären Regeln des Völker- und Kriegsrechts einzuhalten, Zivilisten zu schonen und einen Waffenstillstand anzubieten. Abgesehen davon, dass dieses Ansinnen das Recht auf Selbstverteidigung und den Schutz der eigenen Bevölkerung vor weiteren Terrorakten unterminierte: Wann sind solche Aufrufe je an die Hamas ergangen? Wann wurde diese daran erinnert, sich bei ihren Aktionen doch an die Menschenrechte zu halten?“

Kristeligt Dagblad (DK) /

Den Auslöser nicht vergessen

Die Islamisten haben diesen Krieg angezettelt, erinnert Kristeligt Dagblad:

„Während sich westliche Universitätsstudenten und andere frischgebackene Aktivisten in palästinensische Flaggen hüllen und ihre Sympathie für die Hamas – oder zumindest für die Sache der Hamas – zum Ausdruck bringen, sollten sie sich daran erinnern, wer angegriffen hat und wer den Schlüssel zur Beendigung des Krieges und zu Verhinderung der schrecklichen Zahl ziviler Opfer hat, zumindest kurzfristig. Es ist logisch, dass sich die Forderungen nach einem Ende der Feindseligkeiten an Israel richten, das im Gegensatz zur Hamas ein rationaler Akteur ist und von dem erwartet werden kann, dass es auf internationalen Druck reagiert. ... Aber wir im Westen haben unseren moralischen Kompass verloren, wenn wir uns ausschließlich auf die Verantwortung Israels konzentrieren.“

Expresso (PT) /

Krieg bringt uns Israelis keine Sicherheit

Nadav Weiman, ehemaliger israelischer Soldat und Direktor der NGO Breaking the Silence, fordert in Expresso eine politische Lösung des Konflikts:

„Der schreckliche Anschlag vom 7. Oktober hat deutlich gemacht, dass die Verteidigung Israels einen anderen Ansatz erfordert. Wir müssen unsere Annahmen in Frage stellen: Die Lektion, die wir aus vergangenen Konflikten lernen müssen, ist, dass Gewalt allein uns Israelis nicht die Sicherheit geben kann, die wir verdienen. Eine politische Lösung, die an den Wurzeln des Konflikts ansetzt, ist der einzige Weg, Israels Grenzen und Bürger zu verteidigen. Wir müssen verbindliche Vereinbarungen treffen, die die Rechte, die Sicherheit und die Freiheit von Israelis und Palästinensern sowie die Selbstbestimmung beider Völker garantieren.“