Kurz vor Europawahl: AfD fliegt aus der Fraktion

Schon länger zeichnete sich die Entfremdung ab, am Donnerstag wurde die AfD aus der ID-Fraktion im EU-Parlament geworfen. Der französische Rassemblement National von Le Pen und Salvinis italienische Lega hatten den Bruch vorangetrieben. Ursache sind wohl relativierende Aussagen des AfD-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl, Maximilian Krah, über die Waffen-SS. Wie geht es nun weiter mit Europas Rechten?

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La Repubblica (IT) /

Billiger Schachzug

Für La Repubblica ist das Vorgehen von Le Pen unglaubwürdig und führt nicht unbedingt zu einem Bündnis mit den Konservativen:

„Als ob die neue europäische radikale Rechte im Jahr 2024 ihre Glaubwürdigkeit darauf stützt, dass sie die positiven Urteile eines deutschen Neonazis über die SS nicht teilt. Die Wahrheit ist, dass es andere Unterschiede gibt, wie die Geschichte lehrt. In Frankreich wollte die Rechte, oder besser gesagt die von General De Gaulle angeführte Mitte-Rechts-Bewegung, nie etwas mit den Vichy-Nostalgikern gemein haben. Also mit den Kollaborateuren von Pétain, den Wurzeln der Bewegung von Le Pen. … Es ist nicht der Schatten einer fernen Vergangenheit, denn er bezieht sich auf die Nachkriegszeit. … Die Furche war und ist noch immer tief.“

The Spectator (GB) /

Starke EU ohne deutsche Vormacht

Für The Spectator ist der Bruch ein Ausdruck des Versuchs, die deutsche Machtposition in der Union zu schwächen:

„Deutschland hat die EU von Beginn an dominiert, und eine schwache und unfähige Führung hat die Wähler im gesamten Block verärgert und verbittert. ... Orbáns erklärtes Ziel ist es, 'Europa wieder großartig zu machen', ein Ziel, das Meloni und Le Pen teilen. Sie sind der Meinung, dass Deutschland ausgedient hat und dass deutsche Politiker - jeglicher Couleur - nichts als Ärger bedeuten. Für sie geht es bei der Wahl am 9. Juni darum, ein neues Europa auf die Beine zu stellen, in dem die Deutschen nicht vorkommen.“

eldiario.es (ES) /

Ein Pakt mit der EVP

Eldiario.es erkennt Absprachen zwischen Konservativen und Rechtsaußen:

„Derzeit ist ein großes politisches Manöver im Gange, bei dem sich die italienischen und die spanischen Rechtsextremen den Volksparteien anschließen könnten, um zu verhindern, dass die sozialistische Fraktion die EU-Kommission und ihre sehr breite Macht- und Einflussstruktur übernimmt. Die deutsche AfD wäre ausgeschlossen. Das Projekt wird wahrscheinlich gut ausgehen. ... Dann würden die PP und Vox im EU-Parlament in derselben Fraktion sitzen. Und man könnte meinen, dass dies ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Verständigung auch in Spanien wäre.“

Expresso (PT) /

Pro-europäische Fremdenfeinde im Aufwind

Expresso erwartet, dass die Wahl die Rechtsextremen stärken wird:

„Das wird die Manifestation eines tiefgreifenden Wandels in der Union sein. … Das Erstarken der extremen Rechten wird nicht zum Ende des europäischen Projekts führen. Das würde bedeuten, dass diejenigen, die diese Parteien führen, kein Machtprojekt haben, sondern nur irrationale Impulse. Im Gegenteil, alles deutet auf eine Spaltung der extremen Rechten und eine Stärkung des 'pro-europäischen' Lagers der fremdenfeindlichen Kräfte hin, die die Macht Europas für ihre Zwecke nutzen wollen.“

La Repubblica (IT) /

Man will einen Störfaktor loswerden

La Repubblica sieht die Distanzierungsversuche im Kontext des Plans, eine neue Fraktion rechts der EVP zu bilden:

„Der Zusammenschluss der europäischen Rechten ist ein gemeinsames Projekt, für Marine Le Pen und für Giorgia Meloni, die sich in diesen Stunden von den großen Parteien abwendet, die Europa regieren, und damit ein Wahlrisiko eingeht. Matteo Salvini, der die AfD bereits vom ID-Kongress am 21. März in Rom ausgeschlossen hatte, schließt sich ihr an. Mit der Aussicht auf eine neue gemeinsame Fraktion mit Orbán und dem ziemlich ehrgeizigen Ziel, zusammen entscheidend für den Aufbau einer neuen Mehrheit in Brüssel zu werden. Das ist es, was hinter den gestrigen Schritten zur Isolierung der AfD steckt.“

Polityka (PL) /

Verhältnis zu Russland spaltet die EU-Rechte

Die unterschiedlichen Positionen zum Krieg in der Ukraine zeigt Polityka auf:

„Meloni ist am ehesten pro-ukrainisch und setzt sich sogar im Weißen Haus für Kyjiw ein sowie für die euro-atlantischen Beziehungen. Auch Le Pen hat ihre pro-russische Haltung schnell aufgegeben, Salvini oder Santiago Abascal von der spanischen Partei Vox sind zunehmend zurückhaltend, was die Notwendigkeit von Friedensgesprächen angeht. Am anderen Ende des Spektrums stehen Viktor Orbán, der größte Bremsklotz bei den EU-Hilfsbemühungen für Kyjiw, und die AfD, deren Außenpolitik hauptsächlich von Maximilian Krah bestimmt wird.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Opfermentalität verfängt hier nicht

Jetzt wird es kritisch für die AfD, schreibt die Neue Zürcher Zeitung:

„Dass es nun europäische Rechtsparteien sind, die der AfD nach Krahs Äusserungen die Gemeinschaft aufkündigen, lässt die in der Partei sonst üblichen Abwehrreflexe verstummen. Die AfD kann nicht mehr so tun, als werfe ihr einzig eine linke und feindselig gestimmte deutsche Öffentlichkeit NS-Verharmlosung vor. Man wird Marine Le Pen oder Matteo Salvini schliesslich nicht mit übertriebener Linkslastigkeit in Verbindung bringen können. Die sich abzeichnende Spaltung der europäischen Rechten zwingt die AfD nun zu einer Richtungsentscheidung. … Setzt sie den Weg fort, den Krah und seine Unterstützer ihr weisen wollen, dürfte der Weg zur ostdeutschen Nischenpartei vorgezeichnet sein.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Kein Grund für Entwarnung

Wer glaubt, der Bruch schwäche die europäische Rechte, täuscht sich, mahnt die taz:

„[D]er Bruch ist vor allem innenpolitisch motiviert. Le Pen will sich mit Blick auf Europa, vor allem aber für die Präsidentschaftswahl 2027 in Frankreich ein gemäßigtes Image geben. Rassistische und revisionistische Sprüche à la Krah passen nicht zu dieser Strategie. Le Pen hat Ballast abgeworfen, c’est tout. ... Die Musik spielt anderswo – in Paris, Rom und Madrid. In der spanischen Hauptstadt hielten die Rechten am vergangenen Wochenende ein großes Meeting ab, bei dem der argentinische Präsident Javier Milei gefeiert wurde. ... Nicht raus aus der EU, sondern die Union von innen umkrempeln, heißt die neue Devise. Das macht Europas Rechte nicht weniger gefährlich – eher im Gegenteil.“