Polen: Wie muss der Westen auf die russischen Drohnen reagieren?
In der Nacht auf Mittwoch sind mindestens 19 russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen. Die polnische Luftwaffe schoss mehrere von ihnen ab und wurde dabei von niederländischen und italienischen Nato-Jets unterstützt. Warschau berief Konsultationen gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrags ein – also Beratungen, wenn ein Mitgliedsstaat eine Gefährdung von außen sieht. Europas Presse erkennt Handlungsbedarf.
Egal, ob Zufall oder bewusste Provokation
Russland testet, wie weit es gehen kann, warnt Krytyka Polityczna:
„Selbst wenn man (naiv) davon ausgeht, dass die einzelnen Verletzungen des polnischen Luftraums das Ergebnis eines Zufalls, einer ungeplanten Kursabweichung oder einer technischen Störung und keine bewusste Provokation sind, betrachtet Russland sie dennoch als Test unserer Reaktionsbereitschaft. Wenn keine Reaktion erfolgt, wird der Kreml es weiter versuchen, noch heftiger und noch tiefer, und dabei Informationschaos verbreiten.“
Nato darf Stärke nicht weiter scheuen
Angst ist in dieser Situation ein schlechter Ratgeber, meint Newsweek Polska:
„Die Achillesferse der Nato ist nicht der Suwałki-Korridor [Engstelle zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad in der die Grenze zwischen Litauen und Polen verläuft], sondern die Angst, Russland zu provozieren. Westliche Politiker wiederholen wie ein Mantra, dass Putin nur die Sprache der Stärke verstehe, aber sie scheuen sich, Stärke zu zeigen. ... Seit der Annexion der Krim ist klar, dass Russland früher oder später beschließen wird, zu testen, wie viel die wechselseitigen Sicherheitsgarantien der Nato wirklich wert sind. Die nächtliche Drohnen-Aktion ist ein Vorspiel für einen solchen Test.“
Anders als Rumänien ist Polen robust
Polen hat angemessen reagiert, lobt republica.ro:
„Was Russland zeigen will, ist, dass der Artikel 5 in der Praxis nicht funktioniert. ... Es will der ganzen Welt zeigen, dass es einen Nato-Staat angreifen kann und dass nichts passiert, aus Angst vor einer Eskalation des Konfliktes auf ganz Europa. Die russische Logik hätte in einem Land wie Rumänien funktioniert, das aus Angst lieber die Augen verschließt bei ein oder zwei Drohnen. ... Und genau das kann man über Polen nicht sagen, das bereits begonnen hat, Maßnahmen zu ergreifen und sich auf einen eventuellen Konflikt mit Russland vorbereitet.“
Belarus soll mit hineingezogen werden
Der Politologe Abbas Galljamow fragt sich in einem von Echo übernommenen Telegram-Beitrag, wo die Drohnen gestartet sind:
„Von prinzipieller Bedeutung ist, ob die Drohnen vom Territorium Russlands losgeschickt wurden oder ob sie aus Belarus geflogen kamen, wo die russische Armee sich gerade auf gemeinsame Manöver mit den belarusischen Streitkräften vorbereitet. Wenn es für Putin in dem Geschehenen einen Sinn gibt, so liegt er darin, Polen zu einem Rückschlag auf belarusisches Territorium zu zwingen, um es auf diese Weise auch in den Konflikt hineinzuziehen.“
Jetzt liest jemand fleißig soziale Medien
Was genau Russland mit dieser Aktion testen will, analysiert news.bg:
„Es geht den Russen dabei nicht darum, herauszufinden, ob die polnische Luftabwehr und Luftwaffe funktionieren. Der eigentliche Test läuft gerade in diesem Moment. Die russischen Dienste beobachten die sozialen Netzwerke, um die Reaktion der Öffentlichkeit zu verfolgen. Auch die Äußerungen aller europäischen Staats- und Regierungschefs und Verteidigungsminister werden ausgewertet sowie die Reaktion von Trump und den USA. Europa ist nicht bereit. Solche Provokationen werden in den kommenden Jahren immer häufiger vorkommen.“
Zu lange nur zugeschaut
Das ängstliche Zögern des Westens war ein Fehler, der sich jetzt rächt, meint Novinky.cz:
„In der Ukraine, oder zumindest über ihrem westlichen Teil, hätte schon längst eine Flugverbotszone verhängt und von den Streitkräften der Allianz gesichert werden müssen. Und zwar nicht nur, um es der Ukraine leichter zu machen, sondern auch, um den Luftraum ihrer eigenen Länder zu schützen und eine weitere große Flüchtlingswelle aus der Ukraine zu verhindern. ... Und lange überfällig war eine Aufhebung der Beschränkungen für den Einsatz der gelieferten Waffen und deren Nutzung beim Beschuss von Zielen auf russischem Gebiet. Es zeigt sich, dass Russland unsere Maßnahmen nicht als Zurückhaltung wahrnimmt, mit der wir eine Eskalation verhindern wollen, sondern als unsere Schwäche auslegt, die es erlaubt, den Konflikt eskalieren zu lassen.“
Risiken mit kühlem Kopf abwägen
Kolumnist Bart Eeckhout warnt in De Morgen vor einer unüberlegten Reaktion:
„Natürlich wird es Kritiker geben, die die Reaktionen zu schwach finden. Ich glaube, sie irren sich. Es gibt schon länger die Idee, dass die europäischen Partner den ukrainischen Luftraum aktiv mit verteidigen sollten. Ist dies nun der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt? Die Debatte darf geführt werden, aber es wäre ein großer Schritt in Richtung einer vollständigen europäischen Beteiligung am Krieg und einer direkten Konfrontation mit Russland. Man geht davon aus, dass Putin vor dieser ultimativen Konfrontation zurückschrecken würde. Das kann sein. Es ist jedoch ein gigantisches Risiko.“
Putin nutzt die Gunst der Stunde
Corriere della Sera sieht den Kreml-Chef im Aufwind:
„Putin fühlt sich stark und erhöht den Einsatz, bedroht die Europäische Union mit dem Ziel, sie unter Druck zu setzen, ihre Reaktionsbereitschaft zu testen und die bekannten ihm wohlgesonnenen Kräfte auf dem Alten Kontinent zu seinen Gunsten zu mobilisieren. ... Die Verhandlungen mit Donald Trump über den Frieden in der Ukraine sind im Sande verlaufen. Die Unentschlossenheit des Weißen Hauses ermutigen ihn. ... Die chinesische Party am Hofe von Xi Jinping hat ihm zusätzliches Selbstvertrauen gegeben, wie ein Freibrief, um die Lage weiter zu forcieren.“