Frankreichs neuer Premier: Macrons letzte Chance?

Mit Sébastien Lecornu hat Frankreichs Präsident Macron einen langjährigen Vertrauten zum neuen Premier ernannt. Der bisherige Verteidigungsminister tritt die Nachfolge von François Bayrou an, der nach einer gescheiterten Vertrauensabstimmung zurückgetreten war. Kommentatoren beleuchten die Stimmung im Land und fordern zügiges Handeln von allen Verantwortlichen.

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L'Humanité (FR) /

Ungleichheit ist unerträglich geworden

Mit der Ernennung von Sébastien Lecornu hält der Präsident an seinem bisherigen Kurs fest, der für Frankreich verheerend ist, kritisiert L’Humanité:

„Emmanuel Macron, der bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 2024 unterlag, ist das Gesicht einer kapitalistischen Oligarchie, die niemals zögert, die Demokratie zu leugnen, wenn ihre Privilegien bedroht sind. Er vertritt eine wohlhabende Klasse, die sich jeder Teilung von Reichtum und Macht widersetzt. ... Eine winzige Minderheit reißt einen wachsenden Anteil des nationalen Reichtums an sich. Das ist unhaltbar. Frankreich, das Mutterland der Gleichheit, duldet diese abgrundtiefen, unverschämten Ungleichheiten nicht länger. Und seine Wut ist kurz davor, überzukochen, egal wie der Premier heißt.“

Le Figaro (FR) /

Im Stich gelassene Mehrheit will gehört werden

Der neue Regierungschef muss auf die größten Sorgen der Bürger Antworten finden, fordert Le Figaro:

„Obwohl er an der Spitze einer Minderheitsregierung steht, muss Sébastien Lecornu zur Stimme der vergessenen, unsichtbaren und im Stich gelassenen Mehrheit werden. Unerträglicher fiskalischer und regulatorischer Druck, horrende Staatsausgaben, unkontrollierte Zuwanderung, grassierende Unsicherheit. ... Die Sorgen, die mehr als zwei Drittel der Franzosen einen, sind bekannt. ... Der Erfolg ist nicht garantiert, aber die andere Option, herumzupfuschen, würde zu Misserfolg und Schande führen.“

NRC (NL) /

Politiker sollten Gemeinwohl vor Augen haben

Die politische Klasse muss endlich lernen, zusammenzuarbeiten, betont NRC:

„Um Frankreich in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, müssen die Parlamentarier selbst die Verantwortung für das entstandene Chaos übernehmen und versuchen, Kompromisse zu finden. Der Vorschlag des ehemaligen Premierministers Gabriel Attal, eine Art Sondierer zu ernennen, um ein Koalitionsprogramm mit mehreren Parteien auszuarbeiten, klingt interessant. Dafür braucht es Politiker, die nicht sich selbst, die nächsten Wahlen oder die Proteste der Straße in den Vordergrund stellen, sondern Frankreichs gesunde Zukunft zur Priorität machen.“

The Guardian (GB) /

Extreme Rechte reibt sich die Hände

Mit dieser Ernennung stärkt Macron Le Pens Partei noch mehr, warnt The Guardian:

„Die anhaltende Instabilität und Lähmung des politischen Mainstreams werden die Aussichten für die extreme Rechte bei den Präsidentschaftswahlen 2027 nur verbessern. Ohne einen grundlegenden Strategiewechsel im Élysée gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass es dem Nachfolger von Bayrou besser ergehen wird als ihm. ... Bei seinem Amtsantritt präsentierte sich Macron als das rationale, politische Gegengift zum Aufstieg der extremen Rechten. Das Chaos im Herzen der französischen Mainstream-Politik ist hingegen ein Geschenk, von dem Le Pen immer wieder profitiert. ... Macron sollte, wenn auch verspätet, die Konsequenzen aus den vorgezogenen Wahlen vom letzten Sommer ziehen und eine Vereinbarung mit der Linken treffen.“

De Telegraaf (NL) /

Verwöhntes Volk ist schuld

De Telegraaf macht Frankreichs Bürger für das Chaos im Land verantwortlich:

„Das Problem liegt in der Mentalität vieler französischer Arbeitnehmer, die nicht erkennen (wollen), wie gut sie es eigentlich haben, und sofort auf die Barrikaden gehen, sobald sie auch nur etwas von ihrem Wohlstand oder den Sozialleistungen zu verlieren drohen. ... Anderswo in Europa verstehen die Arbeitnehmer, woher die Redewendung 'Leben wie Gott in Frankreich' stammt. Es ist die Aufgabe des neuen Premierministers Lecornu, die politischen Scherben aufzusammeln und die Regierung des Landes wieder auf Kurs zu bringen. Eine schier unmögliche Aufgabe bei einem derart verwöhnten Volk.“