Sport und Kultur: Wie weit darf Protest gegen Israel gehen?

In Spanien ist am Sonntag die letzte Etappe des Radrennens La Vuelta aufgrund anhaltender pro-palästinensischer Proteste vorzeitig abgebrochen worden. Premier Pedro Sánchez forderte, Israel solle wegen des Krieges in Gaza von internationalen Sportveranstaltungen ausgeschlossen werden. Auch gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest protestieren einige Länder und drohen mit Boykott. Europas Presse diskutiert über den richtigen Umgang mit Israels Sportlern und Kunstschaffenden.

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The Times (GB) /

Dämonisierung statt echter Politik

The Times kritisiert Spaniens Premierminister Pedro Sánchez dafür, dass er den Ausschluss von israelischen Sportlern an Wettkämpfen fordert und die Proteste beim Radrennen La Vuelta gutheißt:

„Man hat kein einziges Leben im Gazastreifen durch die Blockade der Radfahrer gerettet. Dort oder auch in anderen Krisengebieten wie der Ukraine hätte man mehr erreichen können, wenn Spanien mehr in den westlichen Verteidigungshaushalt eingezahlt hätte. ... Sánchez mag glauben, dass er für die Dämonisierung und kulturelle Isolierung Israels die Unterstützung der Bevölkerung genießt. Aber Radfahrern bei einem Rennen den Weg zu versperren, ist pure Provokation. Ein Staatsmann würde realistische politische Maßnahmen ergreifen, die eine Chance haben, den Konflikt im Nahen Osten zu entschärfen.“

eldiario.es (ES) /

Ende des neutralen Wettkampfs

Die ehemalige Staatssekretärin für Sport, Irene Lozano Domingo, schreibt in eldiario.es:

„Die Proteste bei Sportwettkämpfen werden zunehmen: In einer Welt wachsender geopolitischer Spannungen gibt es keinen neutralen Sport mehr. ... Hätten [die Organisatoren] das gerechtfertigte Unbehagen der spanischen Gesellschaft respektiert, hätten sie das improvisierte und chaotische Ende des Rennens vermieden. ... Nicht, weil es ein schlechtes Bild von Spanien vermittelt: Millionen Europäer denken genauso. ... Das Problem ist die Kluft zwischen Bürgern und Sportmanagern. ... Sport ist ein Ausdruck der Gesellschaft und steht niemals an ihrem Rand.“

Der Standard (AT) /

Schlagersänger sind nicht Netanjahu

Künstler, die am ESC teilnehmen, sollten nicht für die Handlungen der israelischen Regierung büßen, betont Der Standard:

„Niemand, der klaren Sinnes ist, wird das Leid in Abrede stellen, das den Zivilisten in Gaza seitens Israels zugefügt wird. ... Der Konflikt, den es mit unverhältnismäßigen Mitteln austrägt, wurde ihm jedoch aufgezwungen. Jeder Vergleich mit dem Aggressor Russland ist daher zurückzuweisen. Österreich sollte sich als Austragungsort des ESC klar positionieren: Die europäische Politik kann, ja, soll Netanjahus Kriegskabinett in die Schranken weisen, der Druckmittel gibt es genug. Kulturschaffende aus Israel gehören zur zivilen Weltgesellschaft. Ihnen ist ein menschenwürdiger, zivilisierter Empfang zu bereiten. Auch und gerade dann, wenn sie Schlager singen.“

De Volkskrant (NL) /

Boykott ist der Preis für die Passivität

Kein Wunder, dass sich die Boykott-Forderungen häufen angesichts der Untätigkeit europäischer Politik, argumentiert De Volkskrant:

„Ja, es ist wahr, dass Europa allein wenig direkten Einfluss hat. ... Solange die US-Regierung Netanjahu unterstützt, wird die israelische Armee ihre unselige Mission fortsetzen. Aber dieser Pragmatismus hat auch eine Kehrseite: Wer seine Position hauptsächlich von der Haltung mächtiger Verbündeter abhängig macht, macht es eben diesen Verbündeten sehr leicht, in ihrer Untätigkeit zu verharren. Die Latte wird immer niedriger gelegt. Wenn die Politik passiv pragmatisch bleibt, wird sich die Unzufriedenheit auf andere Weise äußern: bei Radrennen, beim ESC oder bei Punkkonzerten.“

De Standaard (BE) /

Ausschluss ist kein Antisemitismus

Die Münchner Philharmoniker mit dem israelischen Dirigenten Lahav Shani sind vergangene Woche vom Musikfestival in Gent ausgeladen worden. Den Veranstaltern wurde daraufhin Antisemitismus vorgeworfen. De Standaard will den Vorwurf nicht gelten lassen:

„Die Ereignisse in Gaza sind ein Nährboden für zahlreiche antisemitische Vorfälle. Dafür ist zum Teil die israelische Regierung verantwortlich, die seit dem späten 20. Jahrhundert im Namen aller Juden in der Welt sprechen will. Jede Form von Antisemitismus muss ausgerottet werden. Dies kann nur auf der Grundlage seines rassistischen Inhalts geschehen. Wer Kritik an Israel oder einen Boykott aus politischen Gründen mit Antisemitismus gleichsetzt, erschwert dessen Bekämpfung.“