Frankreich wieder ohne Premier: Was wird Macron tun?
Frankreichs Premierminister Sébastien Lecornu ist am Montag zurückgetreten – einen Tag nach Bekanntwerden seiner Kabinettsliste. Als Grund nannte er mangelnde Kompromissbereitschaft der Parteien. Präsident Macron hatte Lecornu erst am 9. September ernannt. Er war der dritte Premier seit den Neuwahlen 2024. Kommentatoren reagieren zunehmend ratlos.
Jeder wäre hier gescheitert
Politologe Alexej Makarkin erklärt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post das Debakel mit der Unvereinbarkeit der Positionen der Zentrumsparteien:
„Es gelang dem Premierminister nicht, sich mit den Sozialisten zu einigen und eine Regierung auf einer breiten zentristischen Basis – vom linken bis zum rechten Zentrum – zu bilden. Und das ist kein Zufall, denn eine Einigung mit den Sozialisten hätte zu einem Bruch mit den Republikanern geführt. ... Je näher die Präsidentschaftswahlen rücken, desto mehr beharren die Parteien mit Blick auf ihre Wählerschaft auf ihrer Identität. Was Mitte-Rechts für 'Wahnsinn' hält, bedeutet für Mitte-Links die Norm. Nicht nur Lecornu, auch jeder andere Politiker hätte die Prioritäten der Sozialisten und Republikaner nicht unter einen Hut bringen können.“
Linke sollte Regierungsversuch unternehmen
Welche Möglichkeiten es jetzt noch gibt, zählt El País auf:
„Emmanuel Macron, isolierter denn je, steht vor einem schwierigen Dilemma: Er kann an seiner Linie festhalten, auch wenn dies die Instabilität und damit die Spaltung zwischen Gesellschaft und politischer Klasse verschärft. Oder er erkennt endlich das Ergebnis der von ihm selbst angesetzten Wahlen an und sieht ein, dass die Linke die Legitimität besitzt, zumindest einen Regierungsversuch zu unternehmen. Oder er löst erneut das Parlament auf mit dem Risiko, den RN [Rassemblement National] zu stärken, um danach in der gleichen Sackgasse zu stecken. Diese Option ist insofern wahrscheinlich, da er Lecornu zuletzt 48 Stunden Zeit gegeben hatte, um Verhandlungen aufzunehmen, und erklärt hatte, dass er im Falle eines Scheiterns seine Verantwortung übernehmen werde.“
Jetzt Rückkehr an die Urnen
Le Figaro fordert, der Realität endlich ins Auge zu sehen:
„Anstatt weiter das Karussell der Postenverteilungen zu drehen, an Absprachen zur Vermeidung von Misstrauensvoten zu basteln oder angebliche 'Wege' zu beschreiten, die eine Regierungsstabilität versprechen sollen, muss man sich der Realität stellen: Wir sind am Ende einer Illusion angelangt, die seit Juli 2024 aufrechterhalten wurde – der Illusion von Parteien, die die Wahlen verloren haben und sich dennoch das Recht herausnehmen, mit der Arroganz erdrückender Mehrheiten zu regieren. Doch man darf sich nicht im Schuldigen irren. ... Dieses große Durcheinander, diese verwirrende Lage, führt uns zurück zu dem, der kraft der Fünften Republik so viel Macht wie Verantwortung trägt: dem Staatspräsidenten. Nur er hält den Schlüssel in der Hand: die Rückkehr an die Urnen.“
Warnsignal von den Finanzmärkten
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sorgt sich um Frankreichs wirtschaftliche Stabilität:
„Man wird den Eindruck nicht los, dass zu viele Leute in Paris auf Neuwahlen schielen statt sich der ernsten Probleme des Landes anzunehmen. Diese sind bekannt und werden durch Vertagung nicht einfacher zu lösen. Auch am Montag haben die Finanzmärkte die Politik an deren Haushaltsprobleme erinnert. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU und des Euroraums schlechter bewertet wird als Griechenland oder Italien, dann ist das ein Warnsignal. ... In der Eurokrise hatte Europa zu lernen, dass Reformen im Zweifel von den Märkten erzwungen werden. Diese Erfahrung sollte man sich in Paris besser ersparen, auch im Interesse der Partner. ... Regulär würde in Frankreich wieder 2027 gewählt. Kaum vorstellbar, dass es bis dahin so weitergeht wie bisher.“
Einsamer Präsident
Wie sehr die Franzosen mittlerweile mit ihrem Präsidenten fremdeln, beschreibt Corriere della Sera:
„'Ich verstehe ihn nicht mehr', sagte [Ex-Premier] Gabriel Attal. ... Wie Attal verstehen viele, die an Macron geglaubt haben, ihn nicht mehr: Sie verstehen nicht, warum er [im Juni 2024] plötzlich die Nationalversammlung auflöste, warum er einen alten Herrn wie Barnier zum Premierminister ernannte, dann einen weiteren alten Herrn wie Bayrou und schließlich den jungen Lecornu, der jedoch den unüberwindbaren Makel hatte, der letzte der treuen Macron-Anhänger zu sein, während mittlerweile alles, was mit Macron in Verbindung gebracht wird, bei den Bürgern und fast der gesamten politischen Klasse, unbeliebt ist.“