Lecornu erneut Premier: Wohin steuert Frankreich?

Trotz seines Rücktritts am vergangenen Montag ist Sébastien Lecornu nun zum zweiten Mal zum französischen Premier ernannt worden. Nachdem er sein neues Kabinett, in dem mehrere Schlüsselressorts in den Händen der bisherigen Amtsinhaber bleiben, vorgestellt hat, steht er nun vor der Aufgabe, bis Mittwoch einen Haushaltsentwurf vorzulegen. Kommentatoren sind skeptisch, ob Frankreich nun vor ruhigeren Zeiten steht.

Alle Zitate öffnen/schließen
La Libre Belgique (BE) /

Das Land taumelt von Krise zu Krise

La Libre Belgique sieht in einem neuen Haushalt keine Rettung für Frankreich:

„Der französische Staat stolpert von Krise zu Krise und hofft, dass die nächste etwas weniger heftig und auch weniger kostspielig ausfällt als die vorherige. ... Und wenn der Haushalt wie durch ein Wunder doch verabschiedet wird, dann ist er verunstaltet, heruntergehandelt und seiner Bedeutung beraubt. Die Ängste auf allen Seiten führen nur zu Unruhe, niemals zu einer klaren Vision. In diesem Machtvakuum sind die Populisten Könige – stark durch ihre Unverfrorenheit und ihre blinde Leichtfertigkeit angesichts der Tragweite der Herausforderungen. ... Im Jahr 2025 besteht die Aufgabe eines Premiers weniger darin zu regieren, als vielmehr die Nerven der in Panik geratenen politischen Klasse zu beruhigen.“

L'Opinion (FR) /

Es fehlt an Mäßigung und Zusammenhalt

Die Polarisierung dominiert, urteilt L'Opinion:

„Der Staatschef hat eine einzige Kluft zwischen der extremen Rechten und der extremen Linken geschaffen. ... RIP, Kompromiss, Zusammenhalt und Mäßigung. Das Wort 'Verantwortung' ist bis zur Bedeutungslosigkeit abgenutzt. Wie soll man noch daran glauben, dass die Krise bewältigt wird und Frankreich einen – wenn auch beschämenden – Haushalt erhält? ... Der Premierminister hat guten Willens erkannt, dass er seine künftige Regierung von diesen Übeln fernhalten muss. Doch nichts deutet darauf hin, dass er nach seiner Regierungserklärung das erhält, worauf die Franzosen hoffen: einen Moment der Klarheit.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Macrons Rechthaberei ist absurd

Für den Frankreich-Korrespondenten der taz, Rudolf Balmer, ergibt die erneute Ernennung Lecornus überhaupt keinen Sinn:

„Denn da er nun noch weniger Unterstützung und Ermutigung erhält als bei seinem ersten Versuch, scheint das Vorhaben zum Scheitern verurteilt zu sein. Die äußerst heftigen Reaktionen der Opposition zeigen, dass Lecornu mit keinerlei Schonzeit rechnen darf. ... Und auch in den Reihen der bisherigen Regierungsparteien herrscht null Zuversicht. Wer noch mitmacht, tut dies wie Lecornu selber nur noch aus 'Pflichtgefühl', aber ohne Überzeugung. Macrons Rechthaberei ist absurd. Mehr denn je scheint er sich, weitab von der politischen Realität, im Elfenbeinturm seiner hohl gewordenen Macht eingeschlossen zu haben.“

De Standaard (BE) /

Geschenk für Le Pen

Vom Chaos profitiert vor allem die radikale Rechte, analysiert De Standaard:

„Der politische Stillstand und der Streit der letzten Wochen waren ein Geschenk für Le Pen, deren Popularität weiter zunimmt. Sie selbst muss nur zuschauen. Was sie seit Jahren sagt – über eine politische Klasse in Paris, die sich mehr um Posten als um die Sorgen des Volkes kümmert –, hört man heute von vielen Franzosen. In den vergangenen Tagen löste sich auch die Abgrenzung zwischen RN [Rassemblement National] und LR [Les Républicains] immer mehr auf, sodass ein rechtes Bündnis zwischen den Parteien immer weniger ein Tabu zu sein scheint. RN hat den Konservativen bereits die Hand gereicht, um eine gemeinsame Regierung zu bilden, wenn sich die Gelegenheit ergibt.“

The Independent (GB) /

Ein Scheitern wäre folgenschwer

Ganz Europa sollte die Daumen drücken, dass Paris es schafft, die Krise zu bewältigen, meint The Independent:

„Es versteht sich von selbst, dass es kein gutes Zeichen für Frankreich ist, wenn die beste Lösung nach dem Rücktritt von Lecornu nach 27 Tagen des Versuchs, eine Regierung zu bilden, darin besteht, ihn zu bitten, zurückzukommen und es erneut zu versuchen. Aber es ist auch nicht gut für den Rest Europas. ... Ein Scheitern Frankreichs würde nicht nur seinen Nachbarn schaden, sondern auch den Kreml ermutigen. Daher sollte ganz Europa, ob innerhalb der EU oder, im Falle des Vereinigten Königreichs und der Ukraine, außerhalb der EU, dem französischen Volk viel Glück dabei wünschen, die Ursachen seiner politischen Instabilität zu beseitigen.“