EU-Klimaziele: Aufweichen oder konsequent bleiben?
Die Umweltminister der EU haben sich darauf geeinigt, grundsätzlich am Ziel festzuhalten, den C02-Ausstoß bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Allerdings können die Länder fünf Prozentpunkte durch Kompensationen im Ausland erkaufen. Europas Presse sieht darin eine Aufweichung der Klimaziele und kommentiert dies in Hinblick auf die kommende Woche beginnende Weltklimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém.
Verlierer sind die kommenden Generationen
Geologe Mario Tozzi kritisiert den EU-Beschluss in La Stampa:
„Es handelt sich um eine Kapitulation gegenüber den ehrgeizigen Zielen, die sich die EU mit der vorherigen politischen Mehrheit gesetzt hatte. ... Ein Nachgeben gegenüber den Ländern, die eine Aufweichung der Positionen des Alten Kontinents forderten, denen der Green Deal am meisten zuwider war, allen voran Polen und Italien (aber auch Frankreich). Und eine Niederlage für Spanien und Deutschland, die auf eine 'strengere' Untergrenze als die vorgesehene Spanne drängten. Eine Niederlage vor allem für die Kinder und Enkelkinder von uns allen, möchte man hinzufügen.“
Nicht mehr leistbar
Postimees glaubt, dass die Wirtschaften der Mitgliedsstaaten der ambitionierten EU-Klimapolitik nicht standhalten können:
„Estland hat die Klimaziele der EU traditionell positiv unterstützt – unsere Regierung möchte zeigen, dass wir verantwortungsbewusst und zukunftsorientiert sind. Gleichzeitig hatten unsere Unternehmen jedoch mit hohen Energiepreisen, strengen Vorschriften und sich häufig ändernden Regeln zu kämpfen. Die Klimapolitik wird zunehmend zu einem Luxus, den sich nur diejenigen leisten können, deren Wirtschaft bereits funktioniert. Für Estland – aber auch für mehrere andere Länder in unserer Region – ist derzeit die Frage unserer Sicherheit das dringlichste Thema, nicht die Klimasituation in ein paar Jahrzehnten.“
Umweltschutz ist keine Ideologie
Dass Kritiker Klimapolitik als linke Ideologie verschmähen, ärgert Eesti Päevaleht:
„Das Ziel steht im Einklang mit wissenschaftlichen Empfehlungen zum Tempo der Emissionsreduzierung. Noch wichtiger ist jedoch, dass es sowohl den Interessen Europas als auch Estlands entspricht. Es ist nichts Ideologisches, Unbegründetes oder Unrealisierbares daran. Bedauerlicherweise hat sich in Estland in Bezug auf Naturschutz-, Umwelt- und Klimathemen ein Wettstreit entwickelt, wer mehr leere, lautstarke und manchmal bis ins Absurde reichende Kritik übt. Genau das ist ideologisch und sowohl langfristig als auch kurzfristig den Interessen Estlands zuwider.“
Vom Alleingang verabschieden
Die Welt fordert eine neue EU-Strategie:
„Da sie nur für sechs Prozent der globalen Emissionen verantwortlich ist, ändert ihre teure Energie-Transformation am Klima so gut wie nichts. Dafür drohen Abwanderung der Industrie und gesellschaftliche Verwerfungen. Die beiden größten Konkurrenten China und die USA verfolgen weitaus laxere Klimaziele – und dort ist Energie bereits jetzt deutlich günstiger als in der EU. ... Solange es noch keinen internationalen 'Klimaklub' gibt, der über die EU hinaus ökonomische Anreize zur Meidung von CO2-Emissionen schafft, braucht die EU eine andere Strategie: Auf der UN-Klimakonferenz in Brasilien sollte die EU klarmachen, dass sie ihre Ziele nur umzusetzen gedenkt, sofern andere große Emittenten wie die USA, China, Indien und Russland mitziehen.“
Wirtschaft braucht klaren Kompass
Die Süddeutsche Zeitung kritisiert den Schlingerkurs der EU:
„Ja, stimmt: Umgeben von den Blinden, Nichtsehenwollenden und Duckmäusern dieser Welt ist Europas Beitrag noch immer herausragend. Aber ab sofort ist er flankiert von Fragezeichen, die nicht nur die Vereinten Nationen in Belém werden rätseln lassen, sondern auch die eigene Wirtschaft. Denn der Brüsseler Kompromiss verkennt, dass die Klarheit im Klimaschutz immer auch Selbstzweck war: Sie diente Europas Wirtschaft als Kompass zur Klimaneutralität. Jetzt wackelt die Nadel, als läge ein Magnet daneben. Noch kann das EU-Parlament einiges ausbügeln, und es sollte das auch tun. ... [M]it jedem Zehntelgrad Erwärmung, jeder Flut und jeder Dürre wird der Umbau drängender. Selbst Einäugige müssten das sehen können.“
Jetzt bloß nicht nachlassen
Der Klimaschutz braucht neuen Elan, drängt Jean-Christophe Ploquin, Chefredakteur von La Croix:
„Es gibt keinen Anlass, optimistisch zu sein. Zwar haben sich die meisten Staaten in den vergangenen zehn Jahren in Bewegung gesetzt, doch die Klimaskepsis nimmt zu unter dem Einfluss von Donald Trump, der Belém boykottiert. Seit der COP21 in Paris 2015 ist die Welt zunehmend gespalten. Die reichen Länder haben ihren Schwung verloren und scheitern an der schwierig zu erreichenden Nord-Süd-Solidarität zur Finanzierung der Transformation. Die bereits geleisteten Anstrengungen waren nicht umsonst und sollten es erlauben, ein Katastrophenszenario bis 2100 zu verhindern. Eine allgemeine Mobilisierung ist jedoch weiterhin notwendig.“
Schweden gibt auf
Dass Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson nicht zur Klimakonferenz reist, sondern die EU-Ministerin Jessica Rosencrantz schickt, sieht Aftonbladet kritisch:
„Auch wenn die vergangenen Jahre von Enttäuschungen geprägt waren, hat die Anwesenheit der Regierungsvertreter eine wichtige symbolische Bedeutung. Nicht zuletzt, um die brüchige internationale Zusammenarbeit zu sichern. ... 2022 einigten sich die Länder der Welt auf die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder. 2023 wurden fossile Brennstoffe erstmals als Hauptursache der Klimakrise genannt. 2025, wenn es ans Umsetzen geht, gibt Schweden auf. Genau wie die USA. Sollte Kristersson 2026 wiedergewählt werden, wird er das Pariser Abkommen vermutlich ebenfalls verlassen.“