Berlin: Realer Fortschritt bei einer Ukraine-Lösung?
Nach zwei Tagen Verhandlungen über eine Friedenslösung für die Ukraine haben die Beteiligten in Berlin Optimismus verbreitet: Bundeskanzler Friedrich Merz sprach von einer "echten Chance" auf Frieden, die USA hätten "beachtliche rechtliche und materielle Garantien" in Aussicht gestellt. Die europäischen Verbündeten der Ukraine haben ihrerseits eine "multinationale Truppe" zur Sicherung eines Friedens mit Russland vorgeschlagen.
Die Gebietsfrage entscheidet nun alles
Der Politologe Wladimir Pastuchow sieht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post die Preisgabe von Territorien als politisch überbewertetes Hindernis für eine Beilegung des Krieges:
„Diese Gebiete spielen heute die Rolle eines dem 'Gewinner' überreichten 'Siegerpokals'. Leider hat Kyjiw diese Spielregeln akzeptiert und betrachtet die Erfüllung der territorialen Ansprüche Moskaus ebenfalls als eine fast sakrale symbolische Geste, mit der die Abgabe von Gebieten einer Kapitulation gleichsetzt wird. ... Selenskyj kann jetzt nur noch dann einen Kompromiss in der Territorialfrage eingehen, wenn ihm ein Angebot unterbreitet wird, 'das man nicht ablehnen kann'. Anscheinend wird dies derzeit in Berlin diskutiert.“
Der Kanzler geht aufs Ganze
Corriere della Sera ist voll des Lobes für Friedrich Merz:
„In dieser Woche, die die europäische Ordnung neu definieren wird – zum Guten oder zum Schlechten –, die Trump eine Antwort geben oder die Bedeutungslosigkeit Europas im Großen Spiel bestätigen wird, beweist der Kanzler Mut. Um einen Begriff aus dem Poker zu verwenden, ist er 'all in' gegangen. Er hat alles darauf gesetzt, dass drei Vereinbarungen zustande kommen: die Friedensverhandlungen, die Nutzung russischer Vermögenswerte und das Mercosur-Abkommen, das einen gemeinsamen Markt mit Lateinamerika mit 700 Millionen Einwohnern schaffen soll (mit freundlichen Grüßen an Trumps Protektionismus). Das wäre eine Weihe: ein deutscher Spitzenpolitiker, der in der Lage ist, etwas zu bewirken. Und so einen Platz einnimmt, der in den letzten Jahren unbesetzt geblieben ist.“
Kein Deal ohne Russland
The Spectator mahnt, nicht allzu großer Hoffnung auf einen unmittelbar bevorstehenden Frieden zu haben:
„Das Ausrichten dieser Runde der Pendeldiplomatie kann als triumphaler Moment für Merz verbucht werden, der sich zunehmend als Galionsfigur der europäischen Bemühungen profiliert, in der Diskussion um die Zukunft der Ukraine und die Sicherheit auf dem Kontinent weiterhin relevant zu bleiben. Nichtsdestotrotz garantiert all dies keineswegs, dass die in den letzten Tagen und kommenden Stunden diskutierten Punkte für den Kreml akzeptabel sein werden oder, im Großen und Ganzen betrachtet, den Konflikt einer Lösung näher bringen werden. ... Das Russland-Problem zeigt unabhängig vom Ausgang der Gespräche in Berlin keinerlei Anzeichen dafür, dass es in absehbarer Zeit verschwinden wird.“
Nicht zur alten Energieabhängigkeit zurückkehren
Donald Trump Friedensplan für die Ukraine umfasst Medienberichten zufolge auch die Wiederaufnahme russischer Öl- und Gaslieferungen nach Europa. News.bg ist besorgt:
„Für die EU ist es von entscheidender Bedeutung, dass der künftige Friedensvertrag nicht die alten Energieabhängigkeiten wiederherstellt und die russischen Gebietsgewinne dauerhaft legitimiert. ... Die Diskrepanz zwischen der amerikanischen und der europäischen Vision der Sicherheitsarchitektur nach dem Krieg wird nicht nur das Schicksal des aktuellen Friedensprozesses bestimmen, sondern auch das strategische Gleichgewicht in Europa für die kommenden Jahrzehnte.“
Trump braucht nur ein epochales Foto
Ein gerechter Friedensdeal ist derzeit unmöglich, meint Politologin Kateryna Roschuk auf Facebook:
„Ein adäquates Friedensabkommen, an dem die USA und die Ukraine arbeiten und Russland Arbeit imitiert, ist nicht möglich, weil die Ziele der drei Seiten unterschiedlich sind. Trump braucht ein Foto von Selenskyj und Putin, wie sie sich im Oval Office nach der Unterzeichnung eines Abkommens zur Beendigung des Krieges die Hände schütteln. Die 'Beendigung des neunten oder zehnten Krieges' würde Trump seiner Ansicht nach den Weg zu russischem Geld und zum Friedensnobelpreis ebnen. Trump ist es völlig egal, was von wem unterschrieben wird und welche Folgen das haben wird. ... Russland glaubt, Erfolge an der Front und die Unterstützung der USA zu haben (wenigstens stört Trump nicht). Die Ukraine versucht, zu überleben.“
Der Kontinent braucht einen fairen Frieden
Ein ungerechtes Friedensabkommen wäre für Europa gefährlich, warnt Aamulehti:
„Die Vereinigten Staaten und insbesondere Russland müssen erhebliche Zugeständnisse machen, damit mögliche Gebietsabtretungen vom Tisch sind und der Ukraine wasserdichte Sicherheitsgarantien gewährt werden können. Von diesem angestrebten Szenario sind wir noch weit entfernt. Europa betont, dass Frieden auf gerechten und nachhaltigen Bedingungen beruhen muss. ... Wenn die Ukraine zu einem ungerechten Friedensvertrag gezwungen wird, ist es klar, dass der russische Präsident Wladimir Putin dies als Erfolg werten wird. Dies ist ein großes Risiko für die Sicherheit ganz Europas.“
Zumindest wieder mit am Tisch
Die Frankfurter Rundschau erwartet allenfalls kleine Fortschritte:
„Deutschland und die anderen EU-Staaten könnten die US-Seite davon abbringen, das eingefrorene russische Vermögen für die eigenen wirtschaftlichen Interessen in der Ukraine nutzen zu wollen. ... Womöglich können sie die US-Unterhändler sogar dazu bringen, zu erkennen, dass Putin imperialistische Ziele hat. Er denkt nicht ökonomisch, weshalb auch die US-Strategie nicht verfängt, ihn mit ertragreichen Geschäften zu Zugeständnissen zu bringen. Einen ersten Erfolg können die europäischen Verbündeten Kiews für sich reklamieren. Sie verhandeln wieder mit Washington, nachdem sie bei den Gesprächen zwischen den USA und Russland über die Zukunft der Ukraine nicht mit am Tisch saßen. Das ist gut fürs Selbstbewusstsein und bessert das ramponierte Image auf.“
Italien muss sich für eine Seite entscheiden
Meloni sollte endlich Farbe bekennen, fordert der frühere EU-Kommissar Paolo Gentiloni in La Repubblica:
„Italien, das vom Treffen des Führungstrios der Willigen in London ausgeschlossen wurde, ist heute aufgefordert, seine Absichten klar zu machen. ... Aber was werden wir in Berlin sagen? Bislang lautete die Linie der Premierministerin: Wir arbeiten für die Harmonie zwischen Europa und den Vereinigten Staaten und versuchen, die ideologische Affinität zu Trump und die Zugehörigkeit zu Europa miteinander in Einklang zu bringen. Es ist jedoch klar, dass der Spielraum für diese Position immer kleiner wird. Die Situation könnte auch Italien dazu zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden. Und zwar in Kürze.“