Neue Große Koalition, neue Europapolitik?

SPD und Union haben sich auf gemeinsame Positionen für eine Neuauflage der Großen Koalition verständigt. Ob die SPD-Basis diese abnickt, ist noch unsicher. Europas Presse interessiert sich besonders für den Anfang des 28-seitigen Papiers. Dort bekennen sich die Parteien zu den Reformvorschlägen Macrons und der EU-Kommission zur Weiterentwicklung der EU.

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Público (PT) /

Hoffentlich reichen die Zugeständnisse

An einen Neustart für die EU-Integration mag Público mit Blick auf die GroKo-Pläne noch nicht glauben:

„Das Abkommen stellt einen Fortschritt für den Integrationsprozess der Eurozone dar, da sich Deutschland der Position Frankreichs annähert. Außerdem sieht es eine Erhöhung des deutschen Beitrags zum EU-Haushalt vor, sowie nicht näher spezifizierte Solidaritäts- und Investitionsmechanismen - was sehr positiv ist. Doch sind die Vorschläge in Bezug auf die EU wenig detailliert und kaum beziffert. ... Und was die deutsche Finanzpolitik anbelangt, so scheint die Strategie zu sein, so weiterzumachen wie bisher. Kurz gesagt, das Abkommen enthält sehr positive Elemente für Deutschland und für die Eurozone, doch es ist nicht gesagt, dass diese ausreichen werden.“

Revista 22 (RO) /

Osteuropa muss sich warm anziehen

Das schwarz-rote Sondierungsergebnis wird vor allem Osteuropa zu schaffen machen, meint Journalistin Eliza Francu in Revista:

„Als ausdrückliche Warnung an Osteuropa, das sich zurückhaltend zur Flüchtlingsquote verhält, steht in dem Papier, dass sich das 'Solidaritätsprinzip im EU-Budget widerspiegeln' muss. Anders ausgedrückt: die EU ist nicht mehr bereit, Leistungen zu gewähren, ohne dass auch die Verpflichtungen gemeinsam geschultert werden. Hier geht es nicht nur um die Verantwortung für Flüchtlinge, sondern auch um die Pflicht, den Rechtstaat zu respektieren. … Eine schlechte Nachricht für die 'Demokraturen' in Osteuropa. Bislang haben sich Polen und Ungarn darauf verlassen, dass es keine effizienten Sanktionen für Länder gibt, die nicht die Normen und Werte respektieren, zu denen sie sich beim EU-Beitritt verpflichtet hatten.“

Financial Times (GB) /

Vom Verwalten zum Gestalten

Erstmals bietet eine von Angela Merkel geführte Regierung kühne und weitgehende Reformpläne für die EU an, analysiert Financial Times:

„Das Kapitel über die Zukunft der EU beinhaltet den stärksten Anstoß Deutschlands für mehr kontinentale Integration seit dem Maastricht-Vertrag vor einem Vierteljahrhundert. ... Es trägt ganz klar die Handschrift von SPD-Chef Martin Schulz, dem früheren Präsidenten des Europaparlaments. ... Besonders bemerkenswert ist, dass das am Freitag präsentierte Übereinkommen einen echten Wechsel signalisiert: von Merkels unverbindlichem Manager-Stil hin zu einer Politik, die von einer echten Agenda getrieben wird. Wir erleben den Aufbruch in eine neue Ära.“

Deutschlandfunk (DE) /

Egoistisch und einfältig

Maßlos enttäuscht ist hingegen der Deutschlandfunk:

„Kein Wort zu den nach wie vor erheblichen Problemen und Auswirkungen der Eurokrise. Kein Wort dazu, dass die ökonomischen Grundlagen dieser EU eine enorme Schieflage erreicht haben. ... Ohnehin scheint es [in den Augen von Union und SPD] nur ein Land zu geben, auf das es bei allen europapolitischen Plänen ankommt. Die Partnerschaft mit Frankreich ... soll der neue Motor sein, um alle Probleme zu bewältigen. Ein neuer bilateraler Vertrag mit Paris soll die Grundlage dafür sein. Für was genau fragt man sich da? Aber auch das wollen einem die potenziellen Koalitionäre nicht vorenthalten. Als Innovationsmotor für die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz! Großartig! Eingeschränkter, egoistischer und einfältiger kann ein neuer Aufbruch für Europa nicht sein.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Finnland verliert die Deckung

Die künftige EU-Politik Deutschlands wird auch für Finnland etwas verändern, glaubt Helsingin Sanomat:

„Sehr überraschend ist, dass die Union der Forderung der Sozialdemokraten zugestimmt hat, wonach Deutschland in der EU eine aktivere Rolle übernehmen und gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron die Integration der Eurozone vorantreiben soll. Finnland hat sich bislang immer hinter Deutschland versteckt und eine passive EU-Politik betrieben. Falls in Deutschland nun auf Basis des Abkommens vom Freitag eine Regierung zustande kommt, die eine aktivere EU-Politik betreibt und Deutschland sich bewegt, dann wird Finnland die Deckung verlieren. Finnland muss sich dann entscheiden, ob es mitzieht.“

HuffPost Italia (IT) /

Neben Deutschland steht Italien schlecht da

Für Italien sind die Nachrichten aus Deutschland mit Blick aufs eigene Land nur schwer verdaulich, stöhnt Huffington Post Italia:

„Das Koalitionseinvernehmen wird von zwei wesentlichen Säulen getragen: einer Obergrenze für Zuwanderer und Steuersenkungen. ... Möglich gemacht werden letztere durch einen Handelsüberschuss von circa 45 Milliarden Euro. Genau diese Themen beherrschen auch den italienischen Wahlkampf - mit einem grundlegenden Unterschied: Die Italiener wähnen sich im Glauben, von der EU käme bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen konkrete Hilfe und neue Abkommen mit Frankreich könnten eine Steuersenkung auf Kosten einer höheren Staatsverschuldung ermöglichen. Damit sind sie das genaue Gegenteil der Deutschen, die gänzlich Herren ihrer selbst sind. Sie können so viel ausgeben, wie sie gespart haben, auch weil man ihnen freie Bahn beim Handelsüberschuss gelassen hat.“

Gazeta Polska Codziennie (PL) /

SPD-Einfluss ist schlecht für Polen

Für Polen sind die USA ein zuverlässigerer Partner als Deutschland - das ist die Schlussfolgerung von Gazeta Polska Codziennie:

„Dass die SPD an der Macht bleibt, ist für Polen eine schlechte Nachricht. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass es ihr gelingt, alle Ideen ihres Chefs Martin Schulz umzusetzen. Allerdings wird mit der SPD eine klar prorussische und polenskeptische Partei mitregieren. ... Die in den Umfragen immer stärkere AfD spornt die großen Parteien zu einem immer deutlicher prorussischen und antiamerikanischen Kurs an. Polen sollte umso mehr die Beziehungen zu Washington pflegen, dem Garanten unserer Sicherheit. Paradoxerweise ist Washington als Partner berechenbarer als Berlin.“