Johnson will Einwanderung deutlich erschweren

Die britische Regierung will ab 2021 ein Punktesystem für Einwanderer einführen: Nur noch qualifizierte Arbeitskräfte, die mindestens Abitur und ausreichende Englischkenntnisse haben, sollen ins Land kommen. Außerdem dürfen sie nicht weniger als 25.600 Pfund im Jahr als Angestellte verdienen. EU-Bürger werden nicht mehr bevorzugt. Johnsons Anhänger sind begeistert - Europas Presse eher nicht.

Alle Zitate öffnen/schließen
La Repubblica (IT) /

Das Ende der großen Freiheit

Das ist ein dramatischer Paradigmenwechsel, erklärt Kolumnist Francesco Merlo in La Repubblica:

„Es ist ein Schock der Zivilisation, das Ende jenes offenen Meeres, das dank des Tunnels Folkestone mit Calais und die Insel mit dem Kontinent verband. Ab heute werden sie getrennt von der neuen Großen Mauer der Schande. … So wird das British first, das Theresa May lange vor [Lega-Chef] Salvini erfand, zum British only von Boris Johnson: Kein polnischer Klempner und kein rumänischer Maurer mehr, keine selbstständige Erwerbstätigkeit mehr, denn fortan muss der ausländische Handwerker ein festes Einkommen von mindestens 25.600 Pfund pro Jahr vorweisen. So endet das englische Laboratorium der Freiheit und der westlichen Zivilisation, in das die Jugend Europas sechzig Jahre lang strömte. Der einzige wirklich transnationale Raum in Europa.“

Handelsblatt (DE) /

Gegen jede ökonomische Vernunft

Einmal mehr demonstriert die Regierung, dass ihr die Pro-Brexit-Wähler wichtiger sind als alles andere, kommentiert die London-Korrespondentin des Handelsblatts Kerstin Leitel:

„In Zeiten, in denen auf der Insel volkswirtschaftlich gesehen Vollbeschäftigung herrscht - die Arbeitslosenquote liegt bei 3,8 Prozent -, melden Unternehmen verständlicherweise Zweifel an, dass sie zukünftig noch genügend Mitarbeiter finden werden. Wer soll künftig in London den Coffee to go ausschenken, in Manchester die Hotelzimmer reinigen oder in Shropshire Rinder schlachten? Bei einem Teil der Wähler stößt das geplante Gesetz aber auf Applaus. Boulevardmedien feiern den Vorstoß als 'Revolution'. Boris Johnson hat also sein Ziel erreicht. Er verfolgt schließlich keine Politik, die der Wirtschaft zusagt - zumindest nicht, wenn er damit nicht bei (Pro-Brexit-)Wählern punkten kann.“

De Standaard (BE) /

Personalmangel vorprogrammiert

Auch De Standaard glaubt, dass das neue System der britischen Wirtschaft schaden wird:

„'Taking back control' war der Slogan der Brexiteers. Die Kontrolle betrifft in erster Linie den Zustrom von ausländischen Arbeitnehmern. ... Aber die Frage ist, ob dieses System der britischen Wirtschaft überhaupt nützt. Weil die Jobs, für die man relativ wenig Ausbildung braucht, vor allem von Migranten gemacht werden, droht schnell ein großer Personalmangel. ... Unternehmen haben auch Angst, dass sie nicht länger flexibel auf die Nachfrage reagieren können. Denn schnell befristete Arbeitskräfte einzusetzen, wird mit diesem System schwieriger.“

The Daily Telegraph (GB) /

Wirtschaft wird mittelfristig profitieren

Die positiven Effekte werden die negativen überwiegen, lobt hingegen The Daily Telegraph die geplante Reform:

„Die Margaret-Thatcher-Revolution der 1980er-Jahre hat uns gelehrt, dass sich Schmerz manchmal lohnt - wenn er mittelfristig einen Gewinn bringt. Tatsächlich kann sich die Wirtschaft zum Besseren verändern, wenn weniger gering qualifizierte Menschen ins Land gelassen werden. Warum? Weil es die Wirtschaft zwingen wird, auf Branchen mit höherer Produktivität und höheren Löhnen umzustellen. Man muss nur die Fakten in jenen Ländern anschauen, die so etwas probiert haben. OECD-Daten zeigen, dass jeder größere Staat mit einem Punktesystem für Einwanderer die Produktivität der Arbeitnehmer deutlich mehr steigern konnte als Großbritannien.“