Rassismus-Eklat in der Champions-League

Zwischenfall bei der Partie zwischen Paris St. Germain und Istanbul Başakşehir am Dienstag: Nachdem Istanbuls Co-Trainer Pierre Webó die Rote Karte erhalten hatte, bezeichnete ein aus Rumänien stammender vierter Schiedsrichter einem Landsmann gegenüber Webó als "negru". Beide Fußballteams verließen deshalb aus Protest das Spielfeld, die Austragung wurde am nächsten Tag nachgeholt. Was offenbart der Vorfall?

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Libertatea (RO) /

Erst in der Stille war der Skandal vernehmbar

Rumänien hat sich den Skandal selbst zuzuschreiben, findet Libertatea:

„Der Schiedsrichter hat uns beschert, was die Nationalmannschaft nie geschafft hat: weltweites Interesse, direkt auf Seite eins der internationalen Massenmedien, von CNN bis L’Équipe. ... Den Rassismus-Ruhm eines rumänischen Schiedsrichters verdienen wir voll und ganz. Seit Jahren haben wir die Probleme im rumänischen Fußball und bei den Schiedsrichtern unter den Teppich gekehrt. Jetzt in der Pandemie, wo die Tribünen leer sind, hört man im Stadion selbst eine Fliege. Das hat unser Schiedsrichter vermutlich vergessen. Wenn auf den Tribünen ein Spektakel geherrscht hätte, wäre all das untergegangen.“

Adevărul (RO) /

Ein Missverständnis

Journalist Liviu Avram will in dem Vorfall keinen Rassismus erkennen. In Adevărul schreibt er:

„Sowohl im Französischen als auch im Englischen gibt es für 'Schwarzer' mindestens zwei Wörter: eine neutrale und eine pejorative, beleidigende, rassistische. Die Franzosen haben 'noir' als neutrale Bezeichnung und 'nègre' als pejorative, die Engländer haben 'black' als neutrale und 'nigger' als beleidigende. Das Pech von Sebastian Colţescu ist, dass in der rumänischen Sprache, die er in diesem Moment mit seinem Kollegen gesprochen hat, das neutrale Wort 'negru' das Äquivalent zu 'noir' und 'black' ist. Nur klingt es pejorativ. ... Fürs Pejorative hat das Rumänische andere Wörter. ... Keins davon wurde von Sebastian Colţescu gebraucht.“

Die Presse (AT) /

Historische Solidarität

Die Presse begrüsst die Reaktion der Fußballer:

„Das Wort mag in seiner Landessprache 'Schwarz' heißen. Auch ist, im Sinn der Unschuldsvermutung, die naive Version des 'unabsichtlichen Versprechers' zu hören. Nur: Es bleibt Rassismus - und die an diesem Abend zu dem Skandal stundenlang eisern schweigende Uefa wäre gut beraten, den Schiedsrichter nie wieder einzusetzen. ... Bemerkenswert war hingegen die Geste beider Klubs. Endlich. Alle Spieler traten in einem wichtigen Spiel ab. Gemeinsam, ohne jede weitere Diskussion - in historischer Solidarität. Das ist die wahre Antwort, die Fußballer geben sollen. Dann müssen auch Verbände, Industrie und Anhänger in aller Schärfe nachziehen.“

So Foot (FR) /

Ein starkes Statement

Endlich kommt eine wirklich glaubhafte Geste gegen Rassismus, lobt So Foot:

„Mehr als Kniefälle auf dem Rasen, Familienfotos hinter Spruchbändern, Armbinden um den Bizeps, in der Halbzeitpause ausgestrahlte Videoclips und halbherzige Statements in den sozialen Netzwerken brauchte es das: Dass der tief verwurzelte Rassismus auf eine wirklich starke Realität prallt. Mit der Rückkehr in die Kabine hat man gezeigt, dass es wichtiger ist, Rassismus anzuprangern und diesen Kampf nicht länger als Nebensächlichkeit abzutun, als ein Spiel fortzusetzen, trotz dessen sportlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Ein starkes Statement, eine klare Botschaft, um endlich ohne Umschweife zu bekräftigen: Rassismus hat im Fußball - ebenso wie in der Gesellschaft - nichts verloren, und solange er da ist, stoppen wir das Spiel!“

Causeur (FR) /

Heuchlerische Moralisten

Dem konservativen Portal Causeur stößt die Empörung der AKP-Vertreter nach dem Vorfall unangenehm auf:

„Gekränkt, zerschmettert, als Märtyrer ist der türkische Club in die Kabine zurückgekehrt. Ein Club, der in der Hand ist von Nahestehenden der AKP, Erdoğans islamistischer Partei, die Homosexualität und Abtreibung ablehnt und Frauen dazu ermutigt, 'ihrer Aufgabe als Mutter' nachzukommen, mit einem Schleier über dem Kopf - wennschon, dennschon! Also ein Club, der Prinzipien hat. Das Spiel wird nicht fortgesetzt. Der islamistische, sexistische und homophobe - Entschuldigung für den Pleonasmus - türkische Präsident prangert am selben Abend auf Twitter Rassismus an. Am darauffolgenden Morgen spricht sein Außenminister von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Willkommen im Jahr 2020. Die Moral der ganzen Geschichte ist, dass dieses edle Anliegen in guten Händen ist.“