Karlsruhe stoppt Corona-Hilfspaket, Europa staunt

Bundespräsident Steinmeier darf das Gesetz über das EU-Corona-Konjunkturprogramm vorerst nicht unterzeichnen. Dies beschloss das Bundesverfassungsgericht, weil ein Eilantrag gegen die deutsche Beteiligung vorliegt. Geklagt hat eine Gruppe um Ex-AfD-Chef Bernd Lucke, die eine gemeinschaftliche Schuldenaufnahme der EU für gesetzeswidrig hält. Mehr als eine reine Formsache erkennen europäische Journalisten.

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Le Figaro (FR) /

Das Gericht tut nur seine Pflicht

Dass die deutschen Richter hier erst einmal prüfen wollen, sollte niemanden überraschen, findet der Ex-Banker Jean-Michel Naulot in Le Figaro:

„Die buchhalterische Vorgehensweise ignoriert einen wichtigen Teil des EU-Vertrags, Artikel 5, der besagt, dass es so etwas wie eine nicht übertragene Zuständigkeit, in diesem Fall die Kreditaufnahme, nicht gibt. Sie umgeht auch die beiden Artikel, die eine Kreditaufnahme ausdrücklich verbieten (Artikel 310 und 311 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Es dürfte daher niemanden erstaunen, dass das Bundesverfassungsgericht die Ratifizierung des EU-Abkommens erst einmal aussetzt und einer gründlichen Prüfung unterzieht. Das Gericht tut seine Arbeit.“

RFI România (RO) /

Schwer kalkulierbare Folgen

Dass mehr auf dem Spiel steht als nur eine störende Zeitverzögerung, gibt Journalist Ovidiu Nahoi in seiner Kolumne für die rumänische Abteilung von Radio France International zu bedenken:

„Bestenfalls erklärt das Gericht das Hilfspaket für gültig, auch wenn wir nicht wissen, in welchem Zeitrahmen das geschieht. Zudem könnte das Warten noch verlängert werden, sollten die deutschen Richter eine Meinung des Europäischen Gerichtshofes einholen, was das Inkrafttreten des lang erwarteten Plans um einige Monate verzögern kann. Natürlich kann man auch keine Gerichtsentscheidung ausschließen, die die gesamte Konstruktion zunichtemacht, mit schwer kalkulierbaren Folgen.“

Contributors (RO) /

Das Arsenal der Euroskeptiker ist unerschöpflich

Es ist schockierend, wozu populistische Gruppierungen bereit sind, klagt Contributors:

„Was wir hoffen können, ist, dass eine solche Initiative nicht noch in anderen EU-Ländern auftauchen wird. … Das Arsenal euroskeptischer Parteien ist besorgniserregend und sie schrecken nicht davor zurück, jegliches Mittel zu nutzen, um die EU auszubremsen. Das zeigte sich bereits während der Corona-Pandemie mit der Verbreitung von Fake-News und Fehlinformationen und jetzt mit populistischen Botschaften, die so weit gehen, dass sie sogar das Inkrafttreten des Konjunkturprogramms der EU verzögern.“

Financial Times (GB) /

Neue Höchstrichter braucht das Land

Karlsruhe hat in den letzten Jahren eine antiquierte Rechtsauffassung offenbart, kritisiert Financial Times:

„Das Gericht hat in den vergangenen 20 Jahren das Wahlrecht und den Grundsatz der staatlichen Haushaltssouveränität - zwei unveränderbare Grundsätze der deutschen Verfassung - extrem interpretiert. Gleichzeitig hat es anderen Elementen der Verfassung, bei denen es um die Übertragung von Befugnissen an die EU zum Zwecke der EU-Integration geht, wenig Bedeutung geschenkt. Das doktrinäre Denken des Gerichts liegt weit außerhalb des europäischen Mainstreams. Das Problem kann nicht so einfach gelöst werden angesichts der Schwierigkeit, das Grundgesetz zu ändern. Die Hoffnung könnte ein Generationenwechsel sein, wenn Richter ernannt werden, die für eine ausgewogenere Interpretation der Verfassung stehen, die den Verpflichtungen Deutschlands gegenüber der EU mehr Rechnung trägt.“