Russland und Belarus: Bald untrennbar vereint?

Nach jahrelangen Verhandlungen haben Wladimir Putin und Aljaksandr Lukaschenka in Moskau die 28 'Unionsprogramme' verabschiedet, welche die Angleichung der Politik ihrer Länder im finanziellen sowie wirtschaftlichen Bereich befördern sollen. Kommentatoren sehen dies als ersten Schritt hin zu einem Unionsstaat - dem aber womöglich noch nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden sollte.

Alle Zitate öffnen/schließen
Dziennik Gazeta Prawna (PL) /

Erst mal nur Absichtserklärungen

Für Dziennik Gazeta Prawna steht ein möglicher Vereinigungsprozess erst ganz am Anfang:

„Die Absichten Moskaus liegen auf der Hand: Die belarusische Wirtschaft so an Russland zu binden, dass auch eine neue Regierung nach einem eventuellen Machtwechsel in Minsk keinen Handlungsspielraum mehr hätte. ... Ein berühmt gewordener, aber schnell gelöschter Tweet aus dem Büro des polnischen Premiers sprach vor zwei Jahren von der 'feierlichen Unterzeichnung einer Absichtserklärung, in der der Wille zur Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Entwicklung der vorläufigen Durchführbarkeitsstudie für den Eisenbahnknotenpunkt Breslau zum Ausdruck gebracht wird'. Lukaschenka und Putin sind zwar einen Schritt weiter gegangen, aber es ist immer noch nur eine 'Willenserklärung zur Zusammenarbeit bei der Prüfung der Durchführbarkeit'.“

15min (LT) /

Säbeltanz geht weiter

Lukaschenka ist zwar von Russland abhängig, aber so einfach kann der Kreml ihn auch nicht austauschen, meint der Politologe Laurynas Jonavičius in 15min:

„Aus Erfahrung mit den früheren Verhandlungen zwischen Russland und Belarus lässt sich ziemlich sicher behaupten, dass auch diesmal bis zum letzten Tag und sogar bis zur letzten Minute gezögert werden wird (zumindest von Lukaschenka). ... Ungeachtet dessen, wie Lukaschenka seine Macht weitergibt, für Russland ist es wichtig, Formalitäten zu verankern für den Fall, dass die neuen Oberhäupter von Belarus die Logik und Prinzipien der bilateralen Beziehung bestreiten sollten. Bis dahin wird Lukaschenka seinen Säbeltanz weiterführen. Mindestens bis zum 4. November [an dem die Vereinbarungen besiegelt werden sollen]. Aber wohl eher noch einige Jahre.“

Dserkalo Tyschnja (UA) /

Putin nutzt Notlage aus

Russland hat sich Belarus nun einverleibt, erklärt Wladimir Kravtschenko, außenpolitischer Beobachter von Dserkalo Tyschnja:

„Belarus wurde tatsächlich ein weiterer föderaler Bezirk Russlands. …Die 'weiche Annexion' findet statt vor dem Hintergrund der internationalen Isolation Minsks, von Repressionen gegen die politischen Gegner von Lukaschenka, von den offensiven russisch-belarusischen militärischen und strategischen Manövern 'West-2021' und von Gesprächen über die Notwendigkeit, die Neutralität des Landes aus der belarusischen Verfassung zu streichen. … Das Risiko für die Ukraine ist, dass unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Einverleibung von Belarus es nur eine Frage der Zeit ist, dass Russland die Kontrolle über die belarusischen Unternehmen übernimmt, die uns Produkte liefern.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Lukaschenka hat sich für Moskau entschieden

Es muss ja nicht formal sein, dass Belarus ein Teil Russlands wird, bemerkt Der Tagesspiegel:

„Die EU ist nicht naiv. Sie wusste, dass die Ausdehnung der Sanktionen ... Lukaschenko vor die Wahl stellt: Kursänderung, Neuwahlen und Wiederannäherung an den Westen oder ein Bündnis der Diktatoren mit Putin. ... Lukaschenko hat sich für Moskau entschieden. Er hält das für die beste Option, um an der Macht zu bleiben. Die wahre Macht in Belarus hat Putin. Das muss nicht heißen, dass die Vereinigung mit Russland rasch folgt. Putin kann Belarus formal unabhängig lassen und Lukaschenko ständig dessen Abhängigkeit vor Augen führen.“

Iswestija (RU) /

Produkt westlicher Druckversuche

Die Sanktionen des Westens haben die Annäherung der beiden Staaten wesentlich vorangetrieben, meint Iswestija:

„Im letzten Jahr hat der kollektive Westen aus eigener Initiative mit Druck, Sanktionen, unangemessenen und oft dummen Kommentaren einer Intensivierung der Integration starken Vorschub geleistet. Wenn der Westen den Dialog lieber mit geflohenen Politikern führt, die in der Republik selbst nichts beeinflussen und in der Bevölkerung nur bescheidene Unterstützung finden, dann hat er das Recht dazu. Aber Russland und Belarus machen Realpolitik und haben damit nun einzigartige Resultate erzielt. Im Westen fürchtete man sehr, dass die Staatschefs verkünden: Die Integrationsprozesse werden mit der Schaffung eines gemeinsamen Staates abgeschlossen.“