Was hat Putin in der Ostukraine vor?

Russlands Präsident hat bekräftigt, dass der Angriff gegen die Ukraine planmäßig verlaufe. Demnach sei der Rückzug aus der Region Kyjiw keine Niederlage. Der Gegner habe zunächst gelähmt werden müssen, damit Russland bei der geplanten Großoffensive in der Ostukraine besser aufgestellt sei. Einige Beobachter erwarten, dass Moskau die Ostukraine noch vor dem 9. Mai einnehmen will. Europas Presse ist besorgt.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Noch brutaler und rücksichtsloser

Zur Sicherung seines Regimes braucht Putin einen Sieg, mit dem er die Opfer auf russischer Seite rechtfertigen kann, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Die drohende Großoffensive im Osten könnte dem Kreml genügend Stoff für eine solche Heldenerzählung liefern - wenn sie nicht so verliefe wie der Vorstoß auf Kiew. Man muss daher befürchten, dass Moskau seine ganze Militärmacht einsetzt, um den ukrainischen Widerstand zu brechen, noch brutaler und rücksichtsloser als bisher. Am 9. Mai wird in Moskau der Sieg im 'Großen Vaterländischen Krieg' gefeiert. Dann will Putin dem russischen Volk und vor der Geschichte gewiss melden können, dass auch sein Kampf gegen die Nazibrut in der Ukraine sieg- und ruhmreich verlaufen sei.“

Adevărul (RO) /

Wenig Zeit bis zum 9. Mai

Der russische Präsident wird vor nichts zurückschrecken, um sein Ziel zu erreichen, fürchtet Adevărul:

„Putin hat gesehen, dass er Städte zerstören kann, mit zehntausenden Toten, ohne dass die Nato und der Westen anders als mit wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen reagieren. Die Zeit ist kurz, bis zum 9. Mai muss in diesem Krieg etwas gewonnen werden, andernfalls kann Putin sich bei der Militärparade auf dem Roten Platz mit nichts brüsten. … Was wird dann Putin zu den Feierlichkeiten am 9. Mai vorzeigen? Die Nutzung chemischer Waffen gegen die Ukraine in einer ersten Etappe, dann die taktischer Nuklearwaffen. Andere Trümpfe hat er kaum noch auf der Hand.“

Corriere del Ticino (CH) /

Die Bodenschätze des Donbass

Der Kreml hat den Osten der Ukraine nicht nur aus ideologischen Gründen im Visier, meint Corriere del Ticino:

„Erklärtes Ziel des russischen Präsidenten ist es, die ukrainische Region zu befreien, um sie zu 'entnazifizieren'. ... Weniger klar ausgesprochen sind die starken wirtschaftlichen Interessen. ... Allein im Donbass gibt es 100 Milliarden Tonnen Kohle, 135 Millionen Tonnen Öl und 1,1 Billionen Kubikmeter Erdgasreserven. Und nicht nur das: Der Donbass verfügt über riesige Reserven an Metallen und seltenen Erden, die für die Technologieindustrie unerlässlich sind, da sie in technischen Geräten wie Mobiltelefonen, Kameras und Computern, aber auch in Kampfflugzeugen verwendet werden.“

La Repubblica (IT) /

Mit Kyrills Segen

Putin hat die Masse der russischen Bevölkerung hinter sich, bedauert der Schriftsteller Corrado Augias in La Repubblica:

„Die praktisch totale Beherrschung des Landes, die Abschaffung jeglicher Meinungsfreiheit und die brutale Unterdrückung auch nur leiser Meinungsverschiedenheiten würden wahrscheinlich nicht ausreichen, um seine Sicherheit zu gewährleisten, wenn Putin nicht auch auf einen breiten Konsens in der Bevölkerung zählen könnte. Nicht der Konsens der Intellektuellen, der Journalisten, einiger Schriftsteller, sondern der Konsens des Volkes, in den Städten und auf dem endlosen Land, auf den Plätzen und in den Kirchen. ... Unter diesem Gesichtspunkt ist die Unterstützung des Moskauer Patriarchen Kyrill eine große Hilfe. Erst vor wenigen Tagen hatte der Hohe Prälat um göttlichen Beistand [für Putin] gebeten.“

Dagens Nyheter (SE) /

Kappt die Gasleitungen!

Statt symbolischer Besuche sollte sich die westliche Politik auf das Wesentliche konzentrieren, fordert Dagens Nyheter:

„Je länger und blutiger der Krieg in der Ukraine wird, desto notwendiger wird es für Europa, aufs Gas zu verzichten. Es würde zwar kein Ende des Blutvergießens garantieren, aber die Chancen erheblich erhöhen, und es ist auch nicht sicher, dass es die deutsche und europäische Wirtschaft so hart treffen würde, wie insbesondere die Bundesregierung meint. ... Auch die Europäische Zentralbank beurteilt das für die europäische Wirtschaft insgesamt ähnlich. Ein erheblicher Schock, aber nicht unüberwindbar.“