Wie besinnlich wird Weihnachten?

Das Menü will geplant, die Geschenke und der Baum gekauft werden, gleichzeitig drücken Krieg und steigende Preise auf das Gemüt: Vielen in Europa wird es in diesem Jahr mit der Besinnlichkeit vermutlich noch etwas schwerer fallen als sonst. Doch der Stress der Vorweihnachtszeit wird sich noch bezahlt machen, prophezeien einige Kommentatoren.

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Lidové noviny (CZ) /

Ihr werdet das noch zu schätzen wissen

Für die Feuilletonistin von Lidové noviny Jana Machalická besteht der Sinn der Festtage in der Bewahrung von Familientraditionen:

„In meiner Jugend fühlte ich mich höllisch genervt und emotional erpresst, weil die ganze Familie Weihnachten um den Tisch zu sitzen hatte. Meine geliebte Oma, die die weihnachtlichen Traditionen verkörperte, meinte stets, dass sie im nächsten Jahr sicher nicht mehr da sein werde. Sie wurde 98. Und so kommen uns auch die Erinnerungen an die, die nicht mehr bei uns sein können. Wenn wir das tun, worauf sie bestanden, erwecken wir sie wieder zum Leben. Vielleicht erinnert sich meine kleine Enkelin Mařenka Jahre später daran, wie ich sie gezwungen habe, Weihnachten bei uns zu verbringen, und sie wird davon ein wenig bewegt sein, so wie ich es heute bin.“

LRT (LT) /

Der Weihnachtsmann ist eine Frau

Frauen tragen schon im Alltag schwer am Mental Load und mit den Festen werden die Aufgaben noch mehr, empört sich Schriftstellerin Vaiva Rykštaitė in LRT:

„Zu Weihnachten wird diese unsichtbare Arbeit noch komplizierter, denn die durchschnittliche Mutter kauft Geschenke für ihre Kinder, ihren Ehemann, ihre Eltern und Schwiegereltern, ihre Nachbarn, ihre Freunde und die Kollegen von ihr und ihrem Mann. In der Zwischenzeit kauft der Ehemann ein Geschenk für seine Frau und fühlt sich wie ein Held. … Es handelt sich hier natürlich um ein offenkundig stereotypes, sexistisches Narrativ, aber es entspricht häufiger der Realität, als einem lieb ist. … Der Weihnachtsmann ist eigentlich eine Frau, und das sollte jedes Kind wissen.“

Seznam Zprávy (CZ) /

Baumkauf ohne schlechtes Gewissen

Diejenigen, die noch zweifeln, ob ein abgehackter natürlicher Weihnachtsbaum in unsere Zeit passt, will Seznam Zprávy beruhigen:

„Die Bäume werden in der Regel nach zehn Jahren gefällt, was bedeutet, dass für jeden gefällten Baum neun weitere für mindestens ein weiteres Jahr auf der Plantage wachsen. Baumschulen sind Rückzugsgebiete für seltene Vögel wie Grasmücken und Lerchen. Auf solchen Plantagen gedeihen auch viele gefährdete Käfer. In Bezug auf den Schutz der Biodiversität ist eine Baumschule viel besser dran als beispielsweise ein Getreide- oder Maisfeld. Außerdem werden, sobald die Bäume gefällt werden, neue an ihrer Stelle gepflanzt. Also, vergessen Sie ihr schlechtes Gewissen!“

Efimerida ton Syntakton (GR) /

Schmalhans ist Küchenmeister

Efimerida ton Syntakton beklagt, der kleine Luxus eines Weihnachtsmenüs sei für viele griechische Familien unerschwinglich:

„Für eine durchschnittliche vierköpfige Familie mit zwei oder drei Gästen ist das Weihnachtsessen mit einem Hauptgericht, Salaten, Obst, einigen traditionellen Desserts und Getränken seit dem letzten Jahr um bis zu 50 Prozent teurer geworden! ... Bei den Gehältern und Einkommen ist nichts Vergleichbares passiert. [Europas] Regierungen und Zentralbanken sind kaum bereit, Lohnerhöhungen zuzulassen, die die erschreckenden Verluste der Arbeitnehmer durch die Inflation und vor allem die viel höhere reale Preissteigerung ausgleichen würden, die die Einkommen plündert und die Kühlschränke leert.“

Svenska Dagbladet (SE) /

Erzwungener Verzicht macht nicht glücklicher

In diesem Jahr wird bei vielen Menschen der Gabentisch leerer und das Essen weniger üppig sein. Aber, so fragt sich Svenska Dagbladet, sind die Menschen deshalb glücklicher? Das Blatt bezweifelt es:

„Viele werden an diesem Weihnachten leider merken, dass das Fest kaum herzlicher wird, nur weil der Konsum reduziert wird. Die Reden gegen den vermeintlichen Materialismus und die Selbstbezogenheit unserer Zeit hatten schon immer etwas Unaufrichtiges und Vereinfachendes. ... Für die meisten von uns sind die meisten Dinge rund um Weihnachten miteinander verbunden, sowohl das Materielle als auch das Geistliche.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Stress für sensible Seelen

An Weihnachten stellen wir zu hohe Erwartungen an uns selbst, meint Tygodnik Powszechny:

„Es heißt, Weihnachten sei die Zeit der Versöhnung, des Glücks und der Liebe. Für viele sensible Menschen ist es aber eine psychologisch sehr schwierige Zeit. ... Erstens: Die Organisation aller Einzelheiten des Festes (Geschenke, Heiligabend usw.) bedeutet oft eine Menge zusätzlicher Arbeit in einer Zeit, die ohnehin schon knapp bemessen und voller Verpflichtungen ist. Zweitens: Kultur und Tradition haben das Bild eines nahezu perfekten Weihnachtsfestes hervorgebracht, das bewusst oder unbewusst viele Erwartungen und Anforderungen an uns selbst und unsere Umwelt stellt. Drittens: Wir treffen an den Feiertagen oft Familienmitglieder, zu denen wir kein besonders gutes oder enges Verhältnis haben.“